IV. KuIturwissensAalA&e ForsAungen.
A. AUgemeine KuiturgesAiAte.
Nach Bernkeim*), dem Alethodologen der Geschichtswissenschaft,
ist die Kulturgeschichte „die Geschichte der Entwicklung der sozialen
Lebensformen und ^Prozesse, Arbeitsmittel und ^Resultate, geistigen
wie materiellen, die vorwiegend aus der nichtpolitischen Tätigkeit des
Menschen hervorgehen." In dieser Definition ist es schon ausge?
sprochen, daß die Kulturgeschichte gewöhnlich in einen Gegensatz zu
der politischen Geschichte, welche die Geschichte der Entwicklung der
Staaten und des Staatslebens schildern soll, gebracht und damit nur als
eine Unterabteilung der Geschichtswissenschaft im allgemeinen be?
trachtet wird. Diese Anschauung geht zurück auf Leopold Ranke, den
Begründer der modernen Geschichtswissenschaft, der schon beim
Antritt seiner ordentlichen Professur in Berlin (1825) erklärt hatte:
„die Grundlage der Historie und Politik ist ein und dieselbe", der also
als das eigentliche Gebiet der geschichtlichen Forschung nur die
politische Geschichte anerkannte. In seiner „Weltgeschichte" (1880 bis
1886) unterstrich Ranke diese Auffassung noch einmal und verlangte
gleichzeitig für den Beginn der Geschichte den Bestand des Schrift
tums, eine Forderung, die für die Definition und Stellung der Ur?
geschichte jahrzehntelang von größter Bedeutung war.
Die Rankeschen Grundsätze blieben nicht unwidersprochen,
namentlich, da die Geschichtswissenschaft gerade in den letzten Jahr?
zehnten stark um das Problem des geschichtlichen Erkennens ge?
rungen hat. Im Gegensatz zu dem vorwissenschaftlichen Betriebe in
der Geschichtswissenschaft, der nur ein Nebeneinanderreihen einzelner
Tatsachen verlangte, hatte ja schon Ranke betont, daß der Historiker
über die einzelnen geschichtlichen Begebenheiten, deren genaueste
Erforschung selbstverständlich die Grundlage bilden soll, hinausgehen
müsse zu den großen Zusammenhängen, zu den leitenden Ideen und
beherrschenden Tendenzen der Völker und Epochen. Dabei hatte er
aber immer nur die politische Geschichte im Auge und rechnete nicht
damit, daß die Kulturgeschichte, die bisher noch so ziemlich im Ver?
borgenen geblüht hatte und kaum als reine Wissenschaft anerkannt
wurde, sich bald neben ihre ältere Schwester als gleichberechtigt
stellen würde.
*) Bernheim, E. Lehrbuch der historischen Methode. Leipzig 1908.
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A. AUgemeine KuiturgesAiAte.
Nach Bernkeim*), dem Alethodologen der Geschichtswissenschaft,
ist die Kulturgeschichte „die Geschichte der Entwicklung der sozialen
Lebensformen und ^Prozesse, Arbeitsmittel und ^Resultate, geistigen
wie materiellen, die vorwiegend aus der nichtpolitischen Tätigkeit des
Menschen hervorgehen." In dieser Definition ist es schon ausge?
sprochen, daß die Kulturgeschichte gewöhnlich in einen Gegensatz zu
der politischen Geschichte, welche die Geschichte der Entwicklung der
Staaten und des Staatslebens schildern soll, gebracht und damit nur als
eine Unterabteilung der Geschichtswissenschaft im allgemeinen be?
trachtet wird. Diese Anschauung geht zurück auf Leopold Ranke, den
Begründer der modernen Geschichtswissenschaft, der schon beim
Antritt seiner ordentlichen Professur in Berlin (1825) erklärt hatte:
„die Grundlage der Historie und Politik ist ein und dieselbe", der also
als das eigentliche Gebiet der geschichtlichen Forschung nur die
politische Geschichte anerkannte. In seiner „Weltgeschichte" (1880 bis
1886) unterstrich Ranke diese Auffassung noch einmal und verlangte
gleichzeitig für den Beginn der Geschichte den Bestand des Schrift
tums, eine Forderung, die für die Definition und Stellung der Ur?
geschichte jahrzehntelang von größter Bedeutung war.
Die Rankeschen Grundsätze blieben nicht unwidersprochen,
namentlich, da die Geschichtswissenschaft gerade in den letzten Jahr?
zehnten stark um das Problem des geschichtlichen Erkennens ge?
rungen hat. Im Gegensatz zu dem vorwissenschaftlichen Betriebe in
der Geschichtswissenschaft, der nur ein Nebeneinanderreihen einzelner
Tatsachen verlangte, hatte ja schon Ranke betont, daß der Historiker
über die einzelnen geschichtlichen Begebenheiten, deren genaueste
Erforschung selbstverständlich die Grundlage bilden soll, hinausgehen
müsse zu den großen Zusammenhängen, zu den leitenden Ideen und
beherrschenden Tendenzen der Völker und Epochen. Dabei hatte er
aber immer nur die politische Geschichte im Auge und rechnete nicht
damit, daß die Kulturgeschichte, die bisher noch so ziemlich im Ver?
borgenen geblüht hatte und kaum als reine Wissenschaft anerkannt
wurde, sich bald neben ihre ältere Schwester als gleichberechtigt
stellen würde.
*) Bernheim, E. Lehrbuch der historischen Methode. Leipzig 1908.
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