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stück war irgendeiner Instanz censuspflichtig, sei es, daß der
Papst neue Zonen einer bestimmten Korporation wie dem
Kapitel von St. Peter oder der Cap. Giulia übertrug, um
ihren Unterhalt zu sichern und eine Kontrolle über die
Bebauung zu erhalten; sei es, weil es sich um uralte An-
sprüche und Rechte der römischen Kirchen handelte. In
vielen Testamenten belegten die Erblasser ihre Häuser mit
einem Census, der die laufenden Unkosten der Totenmessen
decken sollte. Durch diese Legate wuchsen die jährlichen
Einkünfte der großen Begräbniskirchen und der ange-
schlossenen Konvente, Hospitäler und Bruderschaften be-
trächtlich. Ein Census konnte aber auch bei gewöhnlichen
Transaktionen wie der Parzellierung des Gibraleoni-
Besitzes bei S. Rocco durch Sigismondo Chigi oder des
Clodi-Besitzes durch Giulio Alberini verabredet werden.
Statt des Kaufpreises hatten die neuen Eigentümer dann
eine jährliche Pacht, vergleichbar den Zinsen für eine Hypo-
thek, an den Verkäufer zu entrichten. Auch dabei mußten
sich die Pächter zur baldigen Bebauung verpflichten. Wurde
ein freies Grundstück bebaut, so erhöhte sich der Census
wie bei der Farnesina um einen gewissen Prozentsatz8. Ein
Einblick in dieses Steuersystem, das bis zur Aufhebung des
Kirchenstaates seine Gültigkeit behielt, ist umso wichtiger,
als die Censusbücher der Kirchen und Bruderschaften eine
ergiebige Quelle für die römische Architekturgeschichte
darstellen und Census-Fragen auch in den Notariats- und
Prozeßakten unserer Paläste eine bedeutende Rolle spielen.
Im Folgenden seien charakteristische Beispiele römischer
Urbanistik der Hochrenaissance einer genaueren Betrach-
tung unterzogen.
Als Raffaele Riario gegen 1485 mit dem Bau seines
Palastes begann, verfügte er nicht nur über einen der bedeu-
tendsten Architekten seiner Zeit, sondern hatte in seiner
Eigenschaft als Cardinalcamerlengo auch alle Vollmachten,
seinen Palast günstig in das Stadtbild einzufügen9 (T. 161/
162). Bezeichnenderweise wählte er den Bauplatz nicht bei
seiner nahe dem Kapitol gelegenen Titelkirche S. Giorgio
in Velabro, sondern bei seiner Pfründe S. Lorenzo in
Damaso, die an einer bedeutenden Verkehrsader wie der
Via del Pellegrino und in unmittelbarer Nähe der Via Papalis
und des Campo dei Fiori gelegen war. Die alte Basilika
wurde völlig in den Palastorganismus einbezogen. Am
Außenbau weisen nur noch die Inschrift und das Neben-
portal auf sie hin. Der Hauptfassade ist ein eigener Platz vor-
gelagert. Doch nur auf das Hauptportal, das in den Palast-
8 Die Bulle Leos X. vom November 1516 legte diese Erhöhung des
Census durch Bebauung eines Grundstücks auf ein Zehntel des
bisherigen Wertes fest (Bardus 1565, S.Mtn).
9 Schiavo 1964; s. unten S. 93, Anm. 2.

hof leitet, und nicht auf das Kirchenportal führt eine eigene
breite Straße zu. Die sparsamer gegliederte Seitenfront des
Palastes öffnet sich in Läden auf die kommerzielle Via del Pel-
legrino. Zwischen Haupt- und Nebenfront vermittelt ein
Eckrisalit, der durch Papstwappen und Balkon hervorge-
hoben ist und zweifellos auf den vom Campo dei Fiori her-
kommenden Betrachter berechnet war. Der Rücktrakt mit
den intimeren Privatgemächern wendet sich dem Garten zu.
Die stärkeren Eckrisalite der rechten Seitenfront garantie-
ren die ausreichende Belichtung der Repräsentationsräume,
auch ohne daß ein Platz oder eine breite Straße dafür sorgte.
Der Palast ist also nicht als homogener, allseitig gleich-
förmiger Block behandelt, sondern sorgfältig auf die
städtebauliche Situation abgestimmt. Die Überschaubar-
keit der angrenzenden Straßen und Plätze spielt dabei
keine geringere Rolle als die Wirkung auf die wichtigsten
außerhalb gelegenen Standorte. Es ist der Beginn jenes
Visualisierungsprozesses, der in den römischen Plätzen des
Hoch- und Spätbarock kulminieren sollte. Daß die Fassade
eines Privatpalastes in dieser Weise einem Kirchenbau über-
geordnet wurde, darf allerdings als Akt selbstherrlichen
Machtbewußtseins gedeutet werden, wie er im Barock kaum
denkbar wäre.
Nicht minder charakteristisch wenn auch weniger orga-
nisch verlief die Bebauung der Piazza Scossacavalli im
Borgo S.Pietro (T.200). Dieser Platz verdankte seine An-
lage einem anderen Nepoten SixtusTV., Domenico della
Rovere, der um 1478 einen Palast an der alten Straße Borgo
Vecchio errichten und wohl von vornherein durch einen
vorgelagerten Platz nobilitieren ließ10. Seit 1499 wurde
parallel zum Borgo Vecchio die Via Alessandrina als zweite
große Verbindungsader zwischen Engelsbrücke und Peter s-
platz angelegt, „pro Incolarum dictae Urbis, ac Curialium,
in ea commorantium, et Peregrinorum, ad illum pro
tempore, et praesertim hoc Sacro Anno Jubilei Centesimo,
confluentium, commoditate, ipsiusque Urbis decore“, wie
es in der päpstlichen Bulle heißt11. Der gleichen Bulle zu-
folge sollte sie beiderseits mit Häusern „pro maiori dictae
viae ornamento“ bebaut werden. Die Anlieger, seien es
Besitzer, Mieter oder Pächter von Häusern, Lagerräumen
oder Läden, sollten angehalten werden, innerhalb von zwei
Monaten eine Fassade von 7 canne (15,64 m) Höhe an der
neuen Straßenflucht zu errichten. Falls sie dieser Ver-
pflichtung nicht nachkämen, sei die Apostolische Kammer
ermächtigt, die entsprechenden Grundstücke an Bauwillige
weiterzuveräußern.
Der Durchbruch der neuen Straße zwischen Engelsburg
10 Magnuson 1958, 332ff.
11 Bardus 1565, S.NN-QQ.

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