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und Petersplatz war nach neunmonatiger Arbeitszeit bereits
am Weihnachtstag des Jahres 1499 ausgeführt12. In der
Tat beschreiben die „Decreta“ des Kapitels von St. Peter,
eines der größten Eigentümer von Grundstücken an der
Via Alessandrina, zahlreiche Häuser bereits im Jahre 1500
als „halbzerstört“13. Gleichzeitig begann man mit dem Bau
neuer Häuser und Paläste. Am Anfang stand wohl der
Palast des Kardinals Francesco Soderini auf der Insel zwi-
schen Via Alessandrina, Vicolo dell’Erba, Borgo Sant’
Angelo und dem ehemaligen Vicolo della Puritä (T. 9 b, c).
Seine archaische Fassade umfaßte drei Geschosse, war ver-
putzt und lediglich durch Bottegen- und Fensteröffnungen
in regelmäßigem Rhythmus gegliedert14. Auf der östlichen
Nachbarinsel begann gegen 1501 Adriano Castellesi einen
neuen Palast, dessen Fassade sich zur Piazza Scossacavalli
wendete. Mit einer Gesamthöhe von ca. 21,50 m liegt sie
wesentlich über den 7 canne der Bulle von 1499. Und
während der gegenüberliegende Pal. dei Penitenzieri
Domenico della Roveres mit seinen großen Putzflächen,
seinem Eckturm und seinen Kreuzsprossenfenstern dem
Typus des Pal. Venezia folgt, lehnt sich die elegante Traver-
tinfassade des Pal. Giraud-Castellesi mit ihrer Pilastergliede-
rung deutlich an die Cancelleria an (T.82). Im gleichen
Jahre 1501 ließ Adriano Caprini an der westlichen Ecke Via
Alessandrina-Piazza Scossacavalli durch Bramante einen
weiteren Palast errichten, dessen zwei Geschosse lediglich
eine Höhe von 14,30 m erreichten und dessen Fassade im
Piano Nobile von gekoppelten Halbsäulen in fingiertem
Stein gegliedert wurde, sich im Erdgeschoß jedoch in
rustizierten Bottegen öffnete (T. 32). Den größeren Teil der
vierten (östlichen) Seite der Piazza Scossacavalli nahm nach
1520 die Kirche S. Giacomo ein, für die Sangallo Pläne
hinterlassen hat15. So wurde der Platz in einem Zeitraum
von weniger als 50 Jahren mit vier völlig heterogenen
Schauseiten umbaut, von denen keine genau mit den Fluch-
12 s. Bd. II, 207, Dok. 5; die Trassierung der Via Alessandrina
wurde von Leo X. und seinem Architekten G. da Sangallo 1514
abgeschlossen (s. Bd. II, 50).
13 Bibi. Vaticana, Arch. Capit. S. Pietro in Vat., Decreta (1499-1506),
fol. llrss.
14 zum Pal. Soderini s. Bd. II, 213, Anm. 72.
15 Giovannoni 1959, 237 f.; wenn 1524/25 ein Haus des Kapitels von
St. Peter „jncorporata in ecclesia sancti jacobi scossacaballi“ ge-
nannt wird, war der Bau damals wohl schon vorangeschritten
(Bibi. Vatic., Arch. Capit. S. Pietro in Vat., Censuali 32 [1524/25],
fol. 81 v). Zur Ausführung gelangte eine simple Saalkirche mit je
drei kreuzgratgewölbten Seitenkapellen (der Grundriß abgebildet
in loc.cit., Catasti e Piante, vol. 10, fol. 68). Sangallo hatte in sei-
nen Entwürfen UA 305, 908, 1347, 1349 (Giovannoni 1959,
fig. 186ff.) nach einer Lösung gesucht, die der Lage an der Ecke
Borgo Vecchio/Piazza Scossacavalli gerecht wurde und zwei Ein-
gangsachsen vorsah.

ten des Platzes korrespondierte und von denen nicht eine
auf die andere abgestimmt war.
Ähnlich individualistisch verfuhr man bei der weiteren
Bebauung der Via Alessandrina. Etwa 50 m westlich des
Pal. Soderini mündete der Borgo S. Angelo in die Via Ales-
sandrina ein. Dort ließ der päpstliche Leibarzt Giacomo da
Brescia um 1515 von Raffael einen Palazzetto errichten,
dessen Längsfront sich zur Via Alessandrina wendete und
dessen Schmalseite zwischen den beiden Straßen vermit-
telte (T.21). Diese Schmalseite war durch eine triumph-
bogenartige Gliederung mit Papstwappen und Inschrifttafel
so ausgezeichnet, daß sie schon von weitem als „Blickfang“
wirkte. Die Höhe der Fassade entsprach genau den geforder-
ten 7 canne. Doch weder die Gliederung noch die Materia-
lien (Peperin und Ziegel) nahmen auf die Nachbarbauten
Rücksicht.
Zwischen dem Pal. da Brescia und dem Petersplatz
weitete sich die Via Alessandrina nach Westen auf das etwa
Zweieinhalbfache aus und erreichte mit einer Breite von
etwa 30 m nahezu platzartige Dimensionen (T. 9 b, c). Ein
guter Teil dieses Areals wurde dem südlichen Bürgersteig
eingeräumt, während der nördliche seine alte Breite von
etwa 3 m beibehielt. Diese Bürgersteige, eine ausgespro-
chene Seltenheit im Rom der Renaissance, waren wohl vor
allem zum Schutz der Fußgänger vor Pferden und Wagen
gedacht, wenn das Volk an Festtagen auf den Petersplatz
strömte. An der rechten, geradlinigen Seite dieses ver-
breiterten Areals errichtete Giuliano da Sangallo seit 1508
die kleine Kirche S. Caterina delle Cavallerote, deren
schlichte Giebelfassade wohl unter den vorgeschriebenen
7 canne blieb16. Ihre westliche Seitenfront gegen den
Petersplatz war ungegliedert (T. 9 b). Schräg gegenüber, an
der südlichen Seite der Via Alessandrina, baute Raffael seit
etwa 1516 einen Palast für den päpstlichen Cubicularius
Branconio dell’Aquila. Die östliche Ecke dieses Palastes
ragte - ähnlich wie Pal. Farnese und Pal. Baldassini - über
die Straßenflucht hinaus; die westliche war in die Straßen-
flucht eingebunden. Seine Fassade war in Travertin und
Stuck gearbeitet und mit farbigen Akzenten versehen. Mit
einer Höhe von etwa 18 m lag er zwischen dem Pal. da
Brescia und dem Pal. Giraud. Seine schmucklosen Brand-
mauern schauten weit über die Nachbarhäuser hinaus. Wie
bunt und unruhig das Bild dieser „Renaissancestraße“
gegen 1560 aussah, wie sehr diese sich darin von streng ge-
planten Anlagen wie der Piazza del Campo in Siena unter-
schied, kann Dosios Vedute am besten veranschaulichen.
In der östlichen Hälfte des Borgo, wo die beiden Straßen
konvergierten, wurde die mittlere Insel so schmal, daß sich
16 Fromtnel 1962.

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