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Interesse brachte Bramante von Anfang an der Zentralper-
spektive und ihren architektonischen Möglichkeiten ent-
gegen. Ob es wirklich Raumnot war, die ihn zur Erfindung
des Scheinchores von S. Maria pr. S. Satiro zwang, ist noch
nicht eindeutig geklärt19. Kein Zweifel, daß es auch andere
Lösungen gegeben hätte. Bramante bekennt sich hier zu der
von Brunelleschi, Alberti und Laurana verfolgten Ten-
denz, Architektur mehr und mehr als von einem Stand-
punkt aus überschaubares Raumbild zu betrachten. Sowohl
in S. Maria pr. S. Satiro als auch in S.Maria delle Grazie
scheint das dunkle Langhaus in ein Auditorium verwan-
delt, von dem sich der Blick in die weite, lichterfüllte Bühne
des Sacrariums öffnet. Und im Außenbau von S. Maria pr.
S. Satiro ist ihm weniger an Ratio und Regelstrenge als
einer pittoresken Komposition weich modellierter Körper
gelegen, die zum Inneren wie zueinander in kontrastierende
Analogie treten. - Seltsamerweise haben sich keine Palast-
bauten aus Bramantes Mailänder Zeit erhalten: Offenbar
war das Kunstleben der Sforzametropole wesentlich zen-
tralisierter als in Rom, Florenz oder Venedig.
Als Bramante kurz vor der Jahrhundertwende in Rom
eintraf, fand er dort eine Architektenschule vor, die zugleich
mittelalterlicher und antikischer baute als in den meisten
anderen Kunstzentren Italiens: mittelalterlicher in den
schwerfälligen Gewölbebauten von S. Onofrio, S. Maria del
Popolo oder S. Maria della Pace und den amorphen Bau-
blöcken des Pal. Venezia, des Pal.dei Penitenzieri oder des
Pal. SS. Apostoli mit ihren Wehrgängen und ihren oktago-
nalen Hofpfeilern; antikischer in den Travertinfassaden von
S. Maria del Popolo, S. Agostino oder S. Pietro in Montorio
und im häufigen Gebrauch der Ordnungen, des Theater-
motivs oder antiker Gewölbeformen20. Dieser eigenartig
widersprüchliche Stil, in dem sich kühne Ideen Albertis und
Einflüsse aus Florenz und Urbino mit lokalen Traditionen
mischten, war für Bramantes römische Werke nicht minder
wichtig als seine eigenen mailändischen Anfänge und die
intensivierte Auseinandersetzung mit den antiken Monu-
menten.
Schon in Bramantes römischem Erstlingswerk, dem
Kreuzgang von S. Maria della Pace (1500ff.), begegnen wir
einer herberen, sparsameren, doch auch antikischeren
Sprache als in den mailändischen Bauten21. Schon hier er-
setzte er die Säulenarkade seiner früheren Kreuzgänge
durch die Pfeilerarkade mit vorgelegter Ordnung, das an-
19 op.cit., 751 ff. mit Bibliogr.
20 Urban 1961/62.
21 Über Bramantes römischen Stil s. zuletzt Ackerman 1954;
Förster 1956 mit Bibliogr.; Förster 1959;Bonelli 1968;DeAngelis
d’Ossat 1966; Benevolo 1966; Bruschi 1969.

tike Theatermotiv. Doch die schlanken Proportionen, die
Leichtigkeit des Wandgerüstes und das karge Detail stehen
Bauten wie dem Hof des Pal. Venezia oder der Cancelleria
näher als dem Kolosseum oder dem Marcellustheater. Durch
das Medium dieser Bauten betrachtete Bramante zunächst
auch die Antike. Selbst die vom Kolosseum entlehnte Proji-
zierung der Arkadenpfeiler auf die Innenwände des Kreuz-
gangs konnte Bramante von der Vorhalle von S. Marco
übernehmen: Indem nun das Gewölbe beiderseits von einer
Ordnung und nicht mehr einseitig von Konsolen abgestützt
wurde wie noch in den meisten Quattrocentobauten, war
ein weiterer wichtiger Schritt zur Vervollständigung der
tektonischen Logik getan, der für die römische Hochrenais-
sance verbindlich bleiben sollte. Bramantes Vorliebe für
unorthodoxe Erfindungen äußert sich am charakteristisch-
sten in den kompositen Pfeilern des Obergeschosses, die
sich als das Ergebnis einer gegenseitigen Durchdringung
der jonischen Erdgeschoßpilaster und der korinthischen
Säulenordnung darstellen und darin vertikale und horizon-
tale Kräfte wesentlich harmonischer zum Ausgleich bringen
als das heterogene Obergeschoß der Kreuzgänge von S.Am-
brogio21a. Wenn Bramante im Klosterhof von S.Maria della
Pace auf eine klare Mittelachse verzichtete und jede der vier
Wände in vier Joche unterteilte, so mag er dabei die Funk-
tion eines Kreuzganges als einer allseitigen Wandelhalle im
Auge gehabt haben: Bei einem Palasthof mit Eingangs-
achse wäre eine solche Lösung undenkbar22. Um so reizvol-
ler der Blick von der Eingangsecke über den Hof auf das
mächtige Oktogon der Kirche, das die Architektur des
Kreuzgangs noch zierlicher und ausbalancierter erscheinen
läßt. Kein Zweifel, daß hier Bramantes szenographische
Begabung aktiviert war. In dem bekannten Mailänder Stich
eines Bühnenbildes hatte er ja bewiesen, daß er das zentral-
perspektivische Raumkontinuum mit der pittoresken Viel-
falt eines Stadtbildes zu verbinden wußte und daß ihm nicht
nur an der symmetrischen Reihung idealer Architekturen
gelegen war23. Wir haben auf diesen Sinn der römischen
Hochrenaissance für pittoreske Kontraste, der sich beson-
ders günstig für die Stadtplanung auswirkte, bereits im
vorangehenden Kapitel hingewiesen.
E. Rosenthal hat gezeigt, daß auch der Tempietto (vor
1502) nicht als unmittelbare Anlehnung an antike Rund-
tempel gelten darf, sondern Gedanken des mittelitalieni-
21a Hätte Bramante vier Ordnungen vorführen wollen, wie Bruschi
(1969, 245 ff.) vorschlägt, so hätte er wohl die Arkaden mit einem
vollen Gebälk wie in S. Maria pr. S. Satiro ausgestattet.
22 Vgl. auch entsprechende Entwürfe A. da Sangallos mit seitlicher
Eingangsachse bei Giovannoni 1959, fig. 149, 150, 195.
23 Murray 1962, 38f.

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