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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0066
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Voraussetzungen zu gegensätzlicher Art, als daß man sie an
den Anfang einer neuen Stilphase stellen könnte. Bis zum
Tod Sangallos, bis zu Werken wie der Sala Regia, der Porta
di S. Spirito oder dem Pal. Spada bleibt der Geist Bramantes
und Raffaels lebendig, wird ihre Wirkung zwar geschwächt,
doch nie durch Impulse von vergleichbarer Stärke er-
setzt. Erst Michelangelo vermochte die Situation grund-
legend zu ändern und die Entwicklung in neue Bahnen zu
lenken.
So wird man zwar deutlich eine bramanteske Phase
(1500-1514) von einer raffaelesken (1514-1520) und eine
giulieske Phase (1520-1525) von einer sangallesken (1530
bis 1550) unterscheiden können. Doch diese vier Phasen
sind von verschiedener Dynamik. Am detailliertesten läßt
sich die Entwicklung zwischen 1515 und 1525 verfolgen;
am undifferenziertesten verläuft sie zwischen 1535 und
1550. Da nun aber die verwandelnden Kräfte nach 1527 zu
schwach sind, um die Absonderung eines eigenen Stiles zu
rechtfertigen, und da erst mit Sangallo Bramantes letzter
römischer Schüler stirbt, wird man nicht umhin können, die
erste Jahrhunderthälfte zumindest in Rom als eine einzige,
in sich geschlossene Epoche der Architekturgeschichte mit

unterschiedlichen Phasen anzusehen. Was diese Epoche
vom römischen Quattrocento und von der römischen
Architektur in der zweiten Jahrhunderthälfte trennt, ist die
unmittelbare Wirkung Bramantes und Raffaels und der neue
Zugang zur Antike, den diese beiden Meister eröffneten.
So kulminiert diese Epoche in ihren eigentlichen Begrün-
dern, Bramante und Raffael, auch wenn sie durch Sangallo,
Peruzzi, Giulio oder Sansovino erst zu einem richtigen
Zeitstil wurde und auch wenn man den Beitrag Giuliano da
Sangallos nicht unterschätzen darf. Alle diese Architekten
waren an die Erfordernisse ihrer Zeit, an die Wünsche ihrer
Bauherren gebunden. Doch sie versuchten, in der Ver-
schmelzung quattrocentesker Typen und antiker Formen,
in der Verbindung eines bildhaften, durch die Zentralper-
spektive geschulten Sehens mit der plastisch-monumen-
talen Gesinnung der Antike an der Heraufkunft eines
anthropozentrischen Zeitalters mitzuwirken. Keine Künst-
lergruppe vorher oder nachher war ähnlich intensiv und
ähnlich erfolgreich um die Wiedergewinnung antikischen
Glanzes und antikischer Schönheit bemüht, und so ist es
nach wie vor sinnvoll, in der Architekturgeschichte von
einer „Hochrenaissance“ zu sprechen.

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