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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0071
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Rekonstruktionsversuche Sangallos wie UA1265 und
UA1461, die ebenfalls für einen Vitruvkommentar be-
stimmt scheinen (T. 188f). Bei Peruzzi läßt sich hingegen
das mehrschiffige „atrium“ nirgends nachweisen.
Dieser kurze Überblick mag verdeutlichen, wie die Ver-
suche, den modernen Palast mit der antiken Überlieferung
in Einklang zu bringen, in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts zwar zu fruchtbaren Mißverständnissen wie der
Eingangshalle des Pal. Farnese führten, im ganzen jedoch
keine allgemein verbindlichen Resultate zeitigten. Erst
Palladio sollte es in einigen Palästen gelingen, eine echte
Synthese zwischen dem Organismus eines neueren Palastes
und den Gliedern des antiken Hauses herzustellen18.

2. HOF
Leonbattista Albertis Charakterisierung des Palasthofes
behält auch für die Bauten der römischen Renaissance des
16. Jahrhunderts noch ihre Gültigkeit: „cavum, aedium
pars est primaria, in quam tanquam in forum commune,
alia minora aedium membra concurrunt, et quem admodum
in urbe forum, et porticus foro coniuncta, priores sunt quae
ad aspectum quaeruntur, ita in aede (qua tanquam parva ci-
vitas est) primo ad cohortemetcavaediumrespicimus...“19.
In der Tat verhält sich der Hof ähnlich zum Palast wie die
Piazza zur Stadt. Im Hof liegt die repräsentative Mitte, in
ihm laufen alle Wege zusammen. Er ist der eigentliche Treff-
punkt der Palastbewohner. Die vielfältigen Funktionen des
Palasthofes waren zu selbstverständlich, als daß sie in den
Quellen besondere Erwähnung gefunden hätten. Heute
sind sie kaum mehr alle nachzuvollziehen. Wollte ein Palast-
herr sich außer Hauses begeben, so fand er im Hof sein ge-
satteltes Pferd vor. Kehrte er heim, so überließ er es hier
seinen Knechten. Nicht anders erging es Gästen und Be-
suchern. Waren sie hochgestellt, so kam ihnen der Hausherr
bis zur letzten Treppenstufe, bis in die Hofloggia also, ent-
gegen. Durch den Hof wurde der Palast mit Lebensmitteln,
Wein und Brennstoff versorgt; hier befand sich oft der
„pozzo“, das einzige Wasserreservoir des Palastes. Die Hof-
loggien verbanden die einzelnen Teile des Palastes, ohne
daß die Bewohner den Wechselfällen der Witterung aus-
gesetzt waren. Bei festlichen Anlässen wurde er prächtig
18 Wahrscheinlich spielen noch bei der Konzeption der eigenartig
sich nach innen verjüngenden Eingangssequenz des Pal. Barberini
die humanistischen Vorstellungen von „vestibulum“ und „atri-
um“ mit, wie sie auch in den Empfehlungen eines Florentiners für
den Neubau auftauchen (Pollak 1913).
19 Alberti, De re aedificatoria, V, 2.

geschmückt, und schon im Quattrocento fanden Theater-
aufführungen häufig im Palasthof statt20: In Rom hatte vor
allem die Aufführung von Euripides’ „Hyppolitos“ im Hof
des Kardinals Raffael Riario großes Aufsehen erregt21, und
im März 1505 ließ der Kardinal Grimani den Hof des Pal.
Venezia zum Empfang der venezianischen Botschafter mit
Teppichen, Festons und Wappen schmücken.
Alle diese Funktionen mußte ein repräsentativer Palast-
hof erfüllen, und so wurde schon im 15. Jahrhundert seiner
Gestaltung primäre Bedeutung beigemessen. Stärker noch
als die Fassade war der Hof von den Grundstücksverhält-
nissen abhängig. Ließ sich ein Fassadenschema fast beliebig
vergrößern oder verkleinern (Pal. Venezia, Pal. Farnese,
Pal.Caffarelli-Vidoni), so war der Idealtypus des ringsum
von Portiken umgebenen Hofes nur in den größeren Bau-
ten realisierbar. Bramante (Pal. Giraud, Pal. dei Tribunali),
G. da Sangallo (Entwurf für Pal. Madama, Pal. Lante-
Medici), Raffael (UA310,311), A.da Sangallo d.J. und
Peruzzi sahen für ihre größten Projekte stets einen allseiti-
gen Portikushof vor. Bei der Unterscheidung der ver-
schiedenen Hoftypen wird man also zunächst die Größen-
verhältnisse zu berücksichtigen haben.

a) Hof mit vier Portikuswänclen
Schon der Hof der Cancelleria (um 1485 ff), der erste
große römische Palasthof mit vierseitigem Portikus, war in
seinem längsrechteckigen Grundriß und in seinen 5x8 Ar-
kaden vom Grundstück bedingt (T. 161f.). Vorbildlich
waren gewiß quadratische Höfe wie die des Pal. Medici in
Florenz (1444ff), des Pal. Piccolomini in Pienza (1459 ff.)
oder das Pal.Ducale in Urbino (um 1465 ff.) (T. 190a,b).
Wenig später erhielt der Doppelpalast, den Filippo Strozzi
seit 1489 für seine Söhne in Florenz errichten ließ, ebenfalls
einen längsrechteckigen Hof. Idealtypus blieb auch danach
der quadratische Portikushof. Das beweisen die größten
Höfe der Folgezeit wie die der Pal. Giraud, Doria Pamphili,
dei Tribunali, Pichi, Lante, S. Uffizio, Farnese sowie A. da
Sangallos d. J. Entwürfe UA1259 für Pal. Madama, UA292,
1303 für Pal. Cantelli in Parma, UA999 oder Peruzzis Ent-
würfe UA596 und 651 (T. 184a, 187d). Querrechteckige
oder längsrechteckige Varianten waren auch jetzt stets vom
Grundstück bedingt (Pal. Fieschi, della Valle; Peruzzis Ent-
20 P. d’Ancona, Origini del Teatroitaliano ..., Turin 1891, II, 352ff.;
W. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas, Halle 1893ff., II,
201 ff.; Luzio-Renier 1893, 44ff., 325 f.
21 Creizenach 1893ff., II, 4.

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