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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0110
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erhielt, Meisterwerke des Quattrocento wie die Cancelleria
mit den antiken Ruinen zu konfrontieren. Bei aller Virtuosi-
tät fehlten ihnen doch zwei entscheidende Eigenschaften:
die große Form jeder echten Monumentalität und das
sinnlich faßbare Detail. Und diese beiden Eigenschaften
sind es denn auch vor allen anderen, die die Fassade des Pal.
Caprini von der Cancelleria-Gruppe unterschieden.
Alles war auf den Kontrast zweier beherrschender Ge-
schosse abgestimmt. Jede Form hatte atmendes Leben und
plastische Fülle gewonnen. Die Ädikulen und die Säulen-
podeste ruhten auf den mächtigen Substruktionsbögen des
Sockelgeschosses, das schwere dorische Gebälk auf den
gekoppelten Halbsäulen. Die ganze Fassade war so „orga-
nisiert“, daß sich die tektonischen Elemente zu einem Ge-
rüst zusammenschlossen, während der Wand lediglich eine
passive Rolle zufiel. Die Fassadenfläche, der im Quattro-
cento die Gliederungselemente aufgelegt wurden, war in
aktive und passive Elemente aufgelöst.
Nicht nur die monumentalere Gesinnung und die sinn-
lichere Auffassung einer Rustikabosse oder eines Säulen-
schaftes, sondern auch ihre Komposition verrät einen neuen
Geist. Dieser äußert sich zunächst in der komplexeren
Balance der horizontalen und vertikalen Elemente. Die
offene Rustikaarkade des Mittelportals wirkte als Schwer-
punkt des Sockelgeschosses und verleitete das Auge dazu,
auch die seitlichen, in ihrer oberen Hälfte teilweise ge-
schlossenen Bottegen als Arkaden zu lesen. Der offenen
Mitte standen die dichtgefügten Eckjoche gegenüber. Daß
die Lünetten und der obere Bottegenabschluß nicht mit
Rustikaquadern, sondern mit neutralen Füllwänden ge-
schlossen wurden, gab der dritten und der fünften Arkade
eine vermittelnde Zwischenstellung. Diese hierarchische
Staffelung wurde durch die alternierenden Formen der
Mezzaninfenster noch unterstrichen. So blieb das Erdge-
schoß nicht mehr nur blockhafter Sockel wie in der Cancel-
leria oder im späteren Pal. Caffarelli, sondern öffnete sich
gegen den Umraum. Gleichzeitig trat es in eine engere Be-
ziehung zum Obergeschoß. Den entlastenden Erdgeschoß-
arkaden entsprachen die Interkolumnien des Piano Nobile,
den Rustikapfeilern die gekoppelten Halbsäulen. Diese
vertikale Entwicklung war schon im Muster der Rustika
angebahnt: Gegenüber den willkürlich geschichteten Pfei-
lern herrschte oberhalb des Kämpfers strenge Symmetrie.
Zwischen den Keilsteinen der Arkadenbögen blieb in der
obersten Lage Raum für je zwei Quadern, deren Breite auf
die Säulenpodeste des Piano Nobile anspielte.
Dieser Vorbereitung im Erdgeschoß antwortete die
Sockelzone im Piano Nobile. Die Piedestale der Halbsäulen
und der Fensterbalkons ragten um etwa 0,60 m über die
Wand hinaus und erreichten damit die Flucht des breiteren

Erdgeschosses. So entstand eine äußerst plastische Sockel-
zone, die gegenüber den obersten Bossenlagen jedoch von
schmalen Zwischenräumen aufgelockert wurde und in den
eleganten Balustern sogar eine durchscheinende Leichtig-
keit gewann. Trotz der strengen Trennung der beiden Ge-
schosse wuchs das Piano Nobile also organisch aus dem
Erdgeschoß hervor.
Hielten sich im Sockelgeschoß die hohen Arkaden und
die lastenden Rustikablöcke etwa die Waage, so dominierte
im Piano Nobile eindeutig die Vertikale. Den steilen Ädi-
kulen mit ihren zerbrechlichen Balustern und ihren Spitz-
giebeln, den getrennten Piedestalen der Ordnung, endlich
den schlanken Halbsäulen, die in den Triglyphen ihre Fort-
setzung fanden, stand in dem Gebälk keine gleichwertige
Horizontale gegenüber. Selbst wenn Lafreris Stecher die
Säulen und Ädikulen etwas überlängt wiedergegeben
haben sollte, blieben doch die vertikal aufstrebenden Kräfte
im Übergewicht.
Diese Tendenzen sowie die Zwischenräume zwischen
den Ädikulen und der Ordnung müssen dem Piano Nobile
eine Leichtigkeit und eine Luftigkeit verliehen haben, wie
sie den antiken Massenbauten oder dem gedrängten Relief
des Pal. Caffarelli abgehen (T.25). Ein ähnliches Verhältnis
zwischen den gleichgewichtigen Arkaden des Erdgeschos-
ses und den aufstrebenden Gliedern des Obergeschosses
läßt sich dagegen in dem wenig früheren Klosterhof von
S. Maria della Pace beobachten (um 1500ff.).
Das neue Verhältnis zu Körper und Raum, das Bramante
von allen Vorgängern unterscheidet, kam besonders in der
Ecke des Piano Nobile zum Ausdruck. Während die beiden
Schauseiten des Erdgeschosses wie an den Florentiner
Quattrocentopalästen durch eine Fuge voneinander abge-
setzt und durch die Gesimse verklammert waren, schuf die
Ecksäule im Obergeschoß einen gleitenden Übergang. Sie
erzielte damit eine analoge Wirkung wie die abgeschrägten
Kuppelpfeiler in der Vierung von Bramantes späten Kir-
chenbauten. Diese Lösung, die zweifellos von antiken
Triumphbögen wie dem Titusbogen angeregt wurde, muß
der Ecke mit den schlanken, sich verjüngenden Halb-
säulen einen weichen, eher labilen Charakter verliehen ha-
ben. Bramante wiederholte das Motiv dann am Altarhaus
von St. Peter (um 1513) und an der Casa Santa zu Loreto
(um 1508-14). Seine Nachfolger zogen bezeichnenderweise
kräftigere und härtere Eckakzente vor (Pal. dell’Aquila, Pal.
Pompei in Verona, Libreria S. Marco), während Palladio
das Motiv an seiner Basilika und in einigen späteren Ent-
würfen mehrfach verwendete.
Beachtenswert ist auch das Detail des Pal. Caprini. Die
stereometrisch geschnittenen, nur an der Oberfläche auf-
gerauhten Bossen aus Gußmauerwerk, die mit Blättern

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