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im rein optischen Sinne wirken. Dies zeigt vielleicht am
deutlichsten der übermäßig in die Breite gezogene Echinus
der dorisierenden Säulen. Im übrigen kommt Peruzzis Vor-
liebe für das Chiaroscuro, das zweifellos von Raffael und
Giulio Romano angeregt wurde, in zahlreichen Zeichnun-
gen seit etwa 1525/26 zum Ausdruck70. Während jedoch in
den Entwürfen Raffaels und Giulios Plastizität und Hell-
dunkel sich gegenseitig steigern, drohtPeruzzis Chiaroscuro
bisweilen die Formen aufzuzehren; das Dunkel konzen-
triert sich auf wenige Zonen wie den Portikus und trägt
damit weiterhin zur Ungleichgewichtigkeit der Fassade bei.
Die einzelnen Formen und Motive lassen sich fast aus-
nahmslos in früheren Bauten nachweisen, doch versteht
Peruzzi sie durch kleine Nuancen dem spezifischen Aus-
druck seiner Fassade anzupassen. So begegneten wir der
Schnittsteinquaderung an den Fassaden der Cancelleria-
gruppe, am Erdgeschoß des Pal. Alberini, am Hof des Pal.
Stati und am Obergeschoß von Giulios Haus, den dorischen
Doppelpilastern an Raffaels Marstall oder an der Villa Lante,
den eingetieften Erdgeschoßfenstern am Tempietto und an
der Villa Lante. Verwandte Ädikulen finden sich am Pal.
J. da Brescia und auf Sangallos raffaeleskem Entwurf UA122
für die Südtribuna von St. Peter, vergleichbare Mezzanin-
fenster am Hof des Pal. Stati71. Das Gebälk ist dem Dios-
kurentempel nachgebildet. Das nächste Vorbild für den
Fassadenportikus wird man wohl in Raffaels endgültigem
Projekt für St. Peter wiederentdecken, wo die Doppelsäulen
allerdings hintereinander und nicht nebeneinander stehen.
H. W. Wurm hat die Strenge und Sprödigkeit der Fassade
als Ausdruck dorischer „sodezza“ verstanden und im Sinne
von Vitruv und Serlio ikonographisch zu deuten versucht72.
In der Tat entspräche die dorische Ordnung dem römischen
Patrizierstolz der Massimo, die sich von Herkules und Fa-
bius Maximus Cunctator herleiteten, besser als jede andere.
Wurm selbst muß jedoch einräumen, daß weder das jonische
Eingangsportal noch die Fensterformen, das Kranzgesims
oder die Schnittsteinquaderung dorisch zu nennen sind. Ja,
nicht einmal die Erdgeschoßordnung folgt im engeren
Sinne dem Kanon der dorischen Ordnung wie noch im
Entwurf UA 368 (T.98a). Wurms Deutung würde zu dem
Schluß führen, daß Peruzzi eine jonische oder korinthische
Fassade für einen angemessenen Anlaß mit jener dekorati-
ven Festlichkeit ausgestattet hätte, die der Pal. Massimo
vermissen läßt, daß die „sodezza“ also von der besonderen
Aufgabe und nicht vom Stil des Meisters bedingt gewesen
70 Fromme! 1967/68, 39f., 157f.
71 Giovannoni 1959, fig. 74; vgl. auch die dekorativen Rahmen-
formen in der Gartenloggia der Villa Madama (um 1520-23).
72 Wurm 1965, 125ff„ 146ff., 256f.

wäre. Doch einmal unterscheiden sich schon die Fassaden
der Villa Trivulzi und des Pal. del Vescovo-Pollini (T. 182
a-d), ja sogar die architektonischen Elemente der Farnesina
durch ihre „sodezza“, durch sparsame Strenge und Sprödig-
keit, von gleichzeitigen Werken anderer Meister. Zum
anderen scheint die Verschlossenheit, die Vergitterung
und Gespanntheit des Pal. Massimo charakteristisch für
Peruzzis Spätstil und für die Atmosphäre naqh den Kata-
strophenjahren des Sacco di Roma. Ein Blick auf das etwa
gleichzeitige „Parisurteil“ der Villa Belcaro bei Siena lehrt,
daß wir es dort mit einer ähnlichen Vergitterung der
Fläche, mit einer ähnlich gläsernen Gespanntheit und mit
einem vergleichbaren horizontalen Rhythmus zu tun
haben73.
Konnte die Fassade des Pal. Massimo auch schwerlich
eine unmittelbare Nachfolge finden, so scheint sie doch
jenen mit homogener, meist stuckierter Quaderung und
reichem Kranzgesims ausgestatteten Fassadentypus ohne
Ordnung mitbegründet zu haben, den heute noch die Pal.
Torres-Lancelotti, Delfini oder Crescenzi (Piazza delle
Coppelle) repräsentieren (T. 193 b).

35. PAL. DEL VESCOVO-POLLINI IN SIENA
Zum Verständnis der Fassade des Pal. Massimo kann die
Fassade des Pal. del Vescovo in Siena beitragen, neben der
Farnesina die dritte, die sich mit einiger Wahrscheinlichkeit
in Peruzzis GEuvre einreihen läßt74 (T. 182c,d). Ihre ge-
samte Gliederung beschränkt sich auf die Fensterrahmen,
drei schmale Zwischengesimse und das Kranzgesims. Ein
dem Festungsbau entlehnter Rundwulst trennt die abge-
böschte Kellerzone mit ihren ungerahmten Fenstern und
Türen von dem einzigen Hauptgeschoß der Fassade. Dieses
findet in einem ähnlich profilierten Wulst seinen oberen
Abschluß. Über einer stattlichen Frieszone mit etwa qua-
dratischen Mezzaninfenstern folgt dann das reich ornamen-
tierte Kranzgesims. Die hohe glatte Fläche des Hauptge-
schosses wird nur durch sieben schlichte Ädikulen unter-
brochen, die ohne Voluten oder Sohlbank auf einem leicht
profilierten Travertinband ruhen. Daß sich das Hauptge-
73 Frommei 1967/68, 32ff., 147.
74 Über den Bau sind bisher keine zeitgenössischen Quellen bekannt-
geworden (Kent 1925, 44f.; Chierici 1957, 170; Secchi Tarugi
1966,108, fig. 10f.). Die erste Zuschreibung an Peruzzi findet sich
wohl um 1625/26 in Fabio Chigis „Elenco“ (Elenco delle pitture
sculture e architetture di Siena ..., in: Bull.Sen.Storia Patria
N. S.10 [1939], 334). Daß der Bauherr der Familie del Vescovo an-
gehörte, ist dem „stehenden Pferd“ in den Wappen der Türrahmen
zu entnehmen.

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