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2. PAL. GIRAUD-CASTELLESI
Eine unmittelbare Nachfolge hätte der Hof der Cancel-
leria gewiß in dem wenig späteren Pal. Giraud- Castellesi
gefunden, wäre die Bauleitung nicht an Bramante über-
gegangen (T. 82b-85a, 85c). Obwohl die lichten Maße des
quadratischen Areals mit etwa 15,50 m wesentlich unter
jenen des Hofes der Cancelleria liegen, erweiterte Bramante
die Arkadenöffnungen und ersetzte die Säulen durch
schlichte Travertinpfeiler mit zierlichen Archivolten. In
den beiden Obergeschossen verzichtete man - vielleicht
war es schon Bramantes Nachfolger - auf Ordnung, Inkru-
station und Ornament. Die kahle Ziegelfläche wird ledig-
lich von zwei feinen Fensterbankgesimsen, schlichten Ädi-
kulen und einem weit vorkragenden Kranzgesims ge-
gliedert.
Die Wirkung des Hofes ist denn auch dem Cancelleriahof
entgegengesetzt. Statt des luftigen Säulengerüstes begeg-
nen uns wandhafte Pfeiler, statt der überwiegenden Öffnun-
gen geschlossene Mauerflächen, statt der schlanken Propor-
tionen weite Verhältnisse, statt der dekorativen Vielfalt
wenige einfache Kontraste. Die Konfrontierung der offe-
nen Travertinarkaden mit dem geschlossenen Oberbau,
dessen Geschosse durch die einheitliche Gliederung und
durch das Kranzgesims zusammengebunden werden, er-
innert an das zweieinhalbgeschossige Fassadenschema von
Raffaels Pal. dell’Aquila und Sansovinos Pal. Gaddi (T. 7 a,
78): Der Travertin und die Pfeiler sollen das tragende
Sockelgeschoß, die überhöhte Mittelzone mit den Ädikulen
das Piano Nobile und das Obergeschoß mit seinen schlich-
ten Ohrenfenstern die Dienerschaftswohnungen repräsen-
tieren. Daß die beiden Obergeschosse letztlich als Einheit
aufgefaßt sind, möchte man schon der Verwandtschaft der
beiden Zwischengesimse entnehmen: Das Gesims zum
Obergeschoß ist nur graduell von dem Fensterbankgesims
des Piano Nobile unterschieden. Mit einfachsten Mitteln
wird also die Geschoßfolge des Hochrenaissancepalastes
hergestellt, die wir bereits an Bramantes Pal. Caprini beob-
achten konnten und die dem kontrastschwachen Außenbau
des Pal. Giraud mit seinen nahezu gleichberechtigten Ober-
geschossen noch fremd ist.
Entfalten sich die Erdgeschoßarkaden in die Breite und
umschließen sie den Hof wie einen quadratischen Zentral-
raum, so kommt in der raschen Aufeinanderfolge der beiden
hochrechteckigen Fenster die vertikale Axialität zur Gel-
tung. Bramante mag für die Obergeschosse noch eine
komplexere Lösung vorgesehen haben, ähnlich komplex
wie im Hof von S. Maria della Pace oder im Cortile del Bel-
vedere. Daß den Achsen eine neue Bedeutung zukommt,
verrät aber schon das Erdgeschoß und zwar nicht nur in der

axialen Beziehung der Treppenmündung auf die Ein-
gangsloggia, sondern auch in der optischen Wirkung der
Tiefenachse. Stand man auf Piazza Scossacavalli, so konnte
man durch den Andito und die weite Mittelarkade der Ein-
gangsloggia auf die Mittelarkade der rückwärtigen Loggia
und durch sie hindurch in den anschließenden Garten
schauen, der möglicherweise mit einem ,,point de vue“ am
Ende dieser Blickachse ausgezeichnet war (T. 83 d, 85 c).
Bramantes tektonische Logik macht sich vor allem in der
Gestaltung der vier Hofloggien bemerkbar. Während die
Gewölbe in der Cancelleria wohl von vorneherein auf zier-
lichen Konsolen aufruhen sollten2, ist im Pal. Giraud der
Innenseite jedes Pfeilers eine Lisene vorgelegt, die das
Gewölbe abfängt. Die Pfeiler, Archivolten und Lisenen
werden in zwei dünnen Travertinschichten auf die Rück-
wand der Loggien projiziert, so daß die Gewölbe nun bei-
derseits in ein festes Gliedergerüst verspannt sind (T. 83 b).
Den Eckpfeilern und ihren korrespondierenden Wandvor-
lagen ist sogar eine zweite Lisenenschicht vorgeblendet,
von der flache Gurten aufsteigen. Wie die Wand den Pfei-
lern und die erste Lisene dem Gewölbeansatz entspricht,
so die zweite den Gurten. Konsequenterweise kommt an
den Innenkanten des Pfeilers und der Rückwand die erste
Lisenenschicht wieder zum Vorschein. Diese Gliederung
der Pfeiler in verschiedene, tektonisch motivierbare
Schichten verrät Bramantes Neigung nicht nur zu logischer
Konsequenz, sondern auch zur Aufspaltung der Wand, der
wir etwa am Außenbau seines Chores von St. Peter wieder-
begegnen. Bramante hatte bereits am Außenbau von
S. Maria presso S. Satiro in Mailand mit Wandschichten ge-
arbeitet. Ein Blick auf die einfachen Pilaster rücklagen des
Klosterhofes von S. Maria della Pace (1500 ff.) zeigt jedoch,
daß sich die Tendenz zurVervielfältigung der Wandschich-
ten während Bramantes römischer Jahre steigerte. Seine
Wand ist nicht mehr abstrakte Folie; sie gerät in Bewegung,
wird zur gestaltbaren Materie. Diese tektonische Verstre-
bung der Gewölbe war nicht nur durch die antiken Theater,
sondern auch durch die Vorhalle von S. Marco (1466) vor-
bereitet.
Die Abschnürung der Eckjoche geht unmittelbar auf den
Hof des Pal.Ducale zu Urbino zurück, der Bramante von
Jugend an vertraut war (T. 190a). Sie gibt den Loggien-
trakten feste Grenzen und verhindert, daß die Gewölbe in
den Ecken nahtlos ineinanderfließen. Bei Bramante darf sie
zugleich als Vorstufe für die durchgehende Ausstattung der
2 München, Staatsbibliothek, Cod.Icon. 195, fol.lOr. Die heutigen
Konsolen mit den Lilien des Kardinals A. Farnese gehen auf die
Zeit nach 1534 zurück. Nur im Andito finden sich Konsolen mit
den Riariorosen.

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