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gere und dem niedrigeren Piano Nobile die höhere Attika.
Damit erhält auch das Piano Nobile ein leichtes Über-
gewicht über das Erdgeschoß. Unabhängig von jeder
Ordnung stellt dann das mächtige Kranzgesims die Einheit
der gesamten Fläche wieder her, während sich Raffael mit
einem leichten Abschlußgesims begnügt hatte.
So präsentiert sich Peruzzis Eingangswand als elegantes,
nach oben immer schwereloseres Gerüst, als virtuose
Schichtung wechselseitig aufeinander bezogener Ge-
schosse und Halbgeschosse und doch auch als einheitliche
Fassadenfläche, deren wesentliche Glieder alle in einer
Ebene liegen.
Peruzzis Scheu vor der Häufung und Bündelung der
Wandglieder, vor der Aufspaltung der Wand in mehrere
Schichten kommt auch in der Innengliederung der Erd-
geschoßloggia zum Ausdruck. Die Treppenarkade geht
keine engere Verbindung mit den einfachen Pilastervor-
lagen ein, und der Anschluß zwischen den Eckpfeilern und
den Hofwänden wird lediglich durch einen Halbpilaster
bewerkstelligt. Nirgends ist man gezwungen, Schichten zu
zählen und einander zuzuordnen. Die Wand bleibt stets als
eindeutige Grenze des Baukörpers im Bewußtsein.
Im Rücktrakt des Hofes wird die Erdgeschoßloggia
wiederholt, an den beiden Seitenwänden ihr Aufrißschema
als Blendgliederung weitergeführt, so daß im Erdgeschoß
das kohärente System einer Ordnung das Hofareal um-
schließt. An den beiden Seitenwänden sind die Inter-
kolumnien verbreitert. Die Mittelnische der rechten ein-
geschossigen Wand sollte möglicherweise als Grotte oder
Nymphäum ausgestaltet werden und wäre erst dann als
„point de vue“ in wirkliche Konkurrenz zu den beiden
Tiefenachsen getreten. Die beiden Obergeschosse der
linken Seitenwand stellen eine eigenartige Durchdringung
der Aufrißmotive von Fassade und Hof dar. Wie im Pal.
dell’Aquila übernimmt Peruzzi eine abgekürzte Fassung der
Ädikulen und der Mezzaninfenster sowie das Wandorna-
ment, die Quaderung, von der Fassade. Statt es jedoch zu
einem Bruch mit den beiden Schmalwänden kommen zu
lassen, führt er das Gebälk der jonischen Ordnung weiter
und stellt damit auch im Piano Nobile eine Verbindung
zwischen den drei Hofwänden her. Das Piano Nobile der
Rückwand ist gleichfalls geschlossen und nur durch seine
jonischen Pilaster von der linken Seitenwand unterschieden.
So kommt es zu einer graduellen Stufung der drei Wände
des Piano Nobile. Raffaels kühne Projektion der Fassade auf
die Hofwände ist weitgehend neutralisiert.
Hervorzuheben bleibt schließlich das Detail der beiden
Ordnungen. Die dorischen Säulen, die ersten Travertin-
säulen seit dem Hof des Pal. Doria, sind etwas gedrungener
als im Fassadenportikus und mit weniger ausladenden,

„nahsichtigeren“ Kapitellen versehen25. In ihrer kraftvol-
len Schlankheit gehören sie zu den schönsten der römischen
Renaissance. Auch die wohlproportionierten Marmor-
schäfte der jonischen Säulen scheinen nach Peruzzis An-
gaben gefertigt. Ihre fein ziselierten jonischen Basen und
ihre vollendeten Kapitelle stehen der Antike ungleich näher
als die bramantesken Standardtypen, denenwir bisher meist
begegneten, und setzen damit die Tradition des Pal.Lante
und des Pal. Fusconi fort. Das gleiche gilt für das hölzerne
Gebälk mit dem Filigran seines Lotos-Palmettenfrieses28.
Die Erdgeschoßädikulen unterscheiden sich durch die
Rahmung der Kellerfenster von ihren Vorgängern. Das
erhabene Zierfeld der Mittelleiste, die Kanneluren und
Tropfen der seitlichen Leisten mögen ebenfalls von antiken
Vorbildern angeregt sein und erinnern an die Konsolen
gleichzeitiger Prunkkamine27. Ähnliche Seitenleisten tau-
chen bereits in den Erdgeschoßädikulen im zweiten Hof des
Pal.Gaddi auf und kehren in Sangallos Haus in Via Giulia
wieder (T.79d, 135a). Die rhythmische Kannelierung der
Treppenarkade des Piano Nobile ist vom Tempel des Apol-
lo Sosianus übernommen28. Insgesamt wird man feststellen
dürfen, daß sich das Detail keines zweiten erhaltenen Pala-
stes in seiner Schönheit und in seiner Nähe zur Antike mit
jenem des Pal. Massimo messen kann. Auch hier mag der
Pal. dell’Aquila die Richtung gewiesen haben.
So kommen durch das Medium ererbter Formen das
Ingenium wie die Problematik Peruzzis nicht weniger zur
Geltung als an der originelleren Fassade. Und mehr noch
als diese bezeichnet der Hof das Ende der unmittelbaren
Ausstrahlung Raffaels und damit das Ende der Hochrenais-
sance im engeren Sinne.

24. SANGALLOS HAUS IN VIA GIULIA
Fast gleichzeitig mit den Palästen der Massimo geplant
(nach 1534) und ebenfalls vom Prototyp des Pal. dell’Aquila
abgeleitet, kann der Hof von Sangallos Wohnhaus in Via
Giulia als schmuckloses Gegenstück zum Hof des Pal. Mas-
simo alle Colonne gelten (T. 133-138 c). Sein lichtes Hof-
areal ist zwar wesentlich langgestreckter, bedeckt jedoch
nahezu die gleiche Grundfläche. Die Loggien bleiben auf
25 Wurm 1965,117ff.
26 Der Fries des jonischen Geschosses wurde wohl vom oberen Fries
des Innenbaus der Basilica Aemilia angeregt; vgl. Nash, I, 175.
27 Wurm 1965, 122; vgl. auch A. da Sangallos d. J. UA 717 (um
1522/23) und UA 313v (Giovannoni 1959, fig. 35; Wurm 1965,
122) (T.124c).
28 Wurm 1965, 122.

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