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Füssli, Johann Rudolf; Füssli, Johann Heinrich [Hrsg.]; Füssli, Johann Rudolf [Mitarb.]
Allgemeines Künstlerlexikon oder Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Mahler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider ... (2,7, Anhang): welcher das Leben Raphael Sanzio's, und die Litteratur von dessen Werken in sich faßt — Zürich: Orell & Füßli, 1814

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https://doi.org/10.11588/diglit.59570#0015
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Maria Stkozzi: Das erste kannte ^ottäri (nux
tagt er nicht, wo?) noch gut erhalten, das zweytc
hingegen/ wegen des Kreidengrundes worauf es
gemalt war, ganz versplttrert.
Nun gieng er abermals für eine Weile nach Pe-
rugia, wo er für die Signora Baglioni das schon
oben angezogene Bild ausführte, jene berühmte
Grablegung, welche späterhin nach Rom gebracht
wurde, und noch in ganz neuerlichen Tagen in der
Gallerie Borghese, als eine ihrer vorzüglichsten
Zierden stand. Vasart kann dieses Bild nicht ge-
nug erheben 29); und einer von Raphaels neue-
sten Biographen Zo) nennt es, wohl ebenfalls mit
Grund, ein wahres Wunderwerk der Coniposition Zi),
Zeichnung und höchst gefühlvollen Ausdruckes.
,-Gleich selbst schon Verklarten" (heißt es dort) »schei-
nen dieVerwandten undFreunde desHeilands dessen
erblaßten Körper zu Grabe zu tragen, aller Welt
nm sich her vergessend, mit ihrem Geist an ihm
hangend, aber doch nur in dem Schmerzensausdruck
edler, unsterblicher Wesen 32).
Noch gedenkt Lanzi aus diesem Zeitpunkt einer

schrieb er mit großen goldenen Buchstaben seinen
Namen 27), Zuletzt ward ihm noch von einer ge-
wissen Signora Baglioni ein großes Bild, von
welchem wir sogleich reden werden, aufgetragen;
allein sein rastloses Streben nach immer mehrerer
Vervollkommnung zog ihn einsweilen zum zweyten
Mal nach Florenz.
Von diesem seinem zweyten dortigen Aufenthalt
nun (meint wenigstens vasan) habe man später-
hin wohl spüren mögen, was er daraus für Nu-
tzen geschöpft; wie er jetzt seine Manier verschönert
und vermannigfaltigt, oder vielmehr alle Manier
so abgelegt habe, daß man seine Bilder bald für
des, bald für eines andern Künstlers treflrches Werk
hielt. Nun war es, wo die Bekanntschaft mit
Fra Bartholvmeo die St. Marco ihn zu festem
Grundsätzen im Coloriren leitete 28), wofür er
diesem hinwieder Unterricht in der Perspektiv gab.
Von seinen damaligen Arbeiten in Florenz nennt
Vasan die Bildnisse eines Dilettanten, Agnvlo
Doni, der (nach neuester Weise) gern bezahlte,
aber so wenig wie möglich, und seiner Gattin,
27.) Lanzi nennt neck, neben diesem Christus mit den sechs Heiligen, ein Cruzifir, ebenfalls in Fresco, wel-
ches späterhin aus der Mauer geschnitten wurde, und noch gegenwärtig von den PP. Camaldulenfern aufbe-
wahrt werde, und will daun aus der Ansicht aller dieser frühem Fresco-Arbeiten Raphaels neuerdings (S.
oben S- 5.) den Schluß ziehen, was er aus seinem ersten Aufenthalt zu Florenz, ungefähr für Nutzen ge-
schöpft habe: Für's Studium des Schönen nämlich, und für Ausdruck, keinen (diese beyden Kunstttheile kannte
er schon früher lheils so gut, theils wirklich besser als diejenigen, von denen er in Florenz dergleichen hätte
lernen können). — Kcnntniß der Anatomie? Diese erwies er eben nicht sonderbar, da wo er's hätte thun können,
an jenem Christ in der Glorie. — Das Gruppiren, die Verkürzungen, ein mürberes Coloriren? Dies mochte
er wohl dem da Vinci oder Angelo, oder den noch ältern Meistern abgelernt haben.
28) Warum bey Fiorillo I. 87. diese wohl unstreitige Thatsacbe so halb und halb bezweifelt wird, begreifen
wir nicht.

29) Besonders rühmt er die Figur des Johannes, „der, mit kreuzweise gefaltenen Händen, den Kopf auf eine
Weise senke, die das härteste Gemüth zum Mitleid bewegen muß."
Zo) Mmsnscli rr kvm. ign. S. nss.
zi) Einige wollen zwar, daß er diese aus einem Blatt von Mantegna entlehnt habe. Heinecke II. 402.
52) Vortrefflich! Und ebenfalls schon - aber ob auch wahr? — das dieser Stelle theils Vorhergehnde, theils
Nachfolgende: „Dieses Bild ist aber dadurch vorzüglich merkwürdig, daß in ihm Raphaels Schwermut!), durch
den nicht lange vorher erfolgten Tod seiner geliebten Eltern erregt, sich so lebendig, so tief, und zugleich mir
einer so leisen Seelenbewegung ausgesprochen hat, daß in dieser Hinsicht, ihm nichts von seinen eignen spä-
thern Arbeiten, und noch weit weniger sonst etwas aus dem gekämmten Gebiete der neuern Kunst gegenüber
gestellt werden kann." Daß ein Sohn, wie der Jüngling Raphael war, sich über den Tod guter Eltern
innig betrüben mochte, wer sollte daran — zweifeln? Aber von der Schwermut!), in welche er darüber versun-
ken, sagt uns die Geschichte kein Wort. Daher ist wohl nur halb wahr, und eben darum auch nur halb ver-
ständlich , was folgt: „ In diesem unübertrefflichen Meisterwerk wallt die letzte Flamme eines melancholisch-zarten
Jugendgefühls, welches, durch die Schläge eines düstern Schicksals geweckt, in wahrhaft edlen Naturen allem
der höchsten elegischen Stimmung fähig ist. Bey ihm trennen wir uns von den Vlüthen, die seine Jugend
erzeugte, wie von lieblichen, überirdischen Gestalten, die, ungerufen wie unerwartet, als ein Spiel der großen
Natur selbst im Traum des Lebens vor uns erscheinen. Mit seiner Beendigung war unser Künstler in die
Jahre der Mannheit getreten; da erblicken wir ihn in seinen reifer» Früchten, welche die geübtere Kunst mit
dem Naturtalent erzeugte und uns hinterlassen hat." Auch üanzk (dieser mit seiner gewohnten Klarheit)
spricht von unserm Bilde kurz, wie folgt: „Es sind der Figuren nicht viele; aber jede verrichtet ihr Geschäft
aufs Beßte. Die Köpfe sind wunderschön, und seit dem Wiederaufleben der Kunst gehören solche zu den
ersten, wo der Ausdruck tiefer Trauer und banger Klagen, dennoch der Schönheit keinen Abbruch thut". Und
endlich hören wir auch einen sehr bewährten deutschen Kunstrichter in den Propyläen (I. i. 708) an. „Die
Frucht feiner Studien nach den Werken des Massaccio" (heißt es dort) „wendete Raphael nun in dem Ge-
mälde von der Grablegung an, und zeigte darin feine vermehrten Einsichten in allen Theilen der Kunst, tzr
berichtigte die Zeichnung, machte die Formen mannigfaltiger, breiter, stärkerund kräftiger; er wählte mit
Sorgfalt, und arbeitete mit Fleiß, mit Liebe, und zugleich mit meisterhafter Leichtigkeit aus; seine Motive
sind vortrefflich erdacht, und überaus zweckmäßig , der Ausdruck lebendig und rührend. Aus keinem seiner
Bilder speicht die Empfindung gewaltiger in Höhe und Tiefe; er trift das Herz, und dieser Theil seines
Kunstcharakters kann hier allbereits für vollendet angesehen werden, in dem Raphael hierin nie weitet ge-
kommen ist. Hingegen die Anordnung, die Massen, die Meisterschaft in der Behandlung, hauptsächlich aber
der Styl der Zeichnung, welcher eher natürlich als groß, mehr fein als kühn ist, sind noch keineswegs voll-
kommen, und in allen diesen Theilen darf dieses Bild nicht mit seinen späthern Werken verglichen werden."
Sonderbar! Richardson in seinen Notizzen über den Pallast Borghese schweigt von dieser Grablegung, und
Ramdohr nennt sie irrig eine Kreuzabnehmung, und spricht dann dennoch catbegorisch davon, wie folgt:
„Der Künstler stand, als er dieses Bild verfertigte, noch nicbt auf der Höhe der Vollkommenheit, die er
nachher erreicht hat; aber er hatte schon den Gothiscben Geschmack der Schule des Perugino verlassen. Man
findet kein natürliches Gold mehr, weder in den Glorien um die Kopfe der Heiligen, noch in den Sticke-
reven auf den Kleidern. Die Hand ist noch etwas furchtsam, dem ungeachtet aber der Ausdruck unvergleichlich.
Die Köpfe sind schön, die Zeichnung ist fein und correkt, die Färbung, ohne kräftig zu feyn, frisch und durch-
sichtig; die Behandlung geleckt, und bis zur Kälte sorgsam in den geringsten Bcvwerken. Hieran, und an
dem Style in den Gewändern, erkennt man die Bekanntschaft des Meisters mit den Werken des Leonardo
da Vinci und des Fra Bartholomeo. Die Lustperspektive und das Helldunkel fehlen ganz. Die Umrisse sind
etwas hart und nicht genug verschmolzen." Von diesem Bilde kennt man unsers Wissens bloß einen alten
Stich von E. Vicus (1548.) S. Heinecke !- c. S. 402. Nr. 4z. und Minklev Nr. 3652. wo es aber noch
zweifelhaft ist, ob solches Blatt wirklich, wie Heinecke behauptet, unsere Grablegung in Borghese zum Ge-
genstand habe, da er nämlich von einem Grabmal in Gestalt eines Thurmes spricht, vor deffen Eingang die
H. Jungfrau in Ohnmacht gefallen. Dann ein neues Blatt von Volpato, 17" hoch, 15" breit. Ümrdon
endlich Nr. 754. giebt im Umrisse eine Copie des Blatts von E. Vicus, von 5. weiblichen und 4. männlichen
Figuren, ohne den Leichnam, wo jener Thurm eben auch nicht ersichtlich ist, und nennt dann noch zwev
andere Stecher (den Grafen Cavins und le Noir) desselben „schönen Bildes" sagt er, ohne seine
Stelle zu bestimmen, so wie hingegen Heinecke l. und Winkler Nr. 3661. das Blatt von Caylus als
nach einer Zeichnung im Crozatschen Kabinett in Helldunkel, anführt. Wie wir somit vermnthen, wäre das
Blatt von Volpato, das wir leider eben nicht vor uns haben , das einzig sichere nach unserm berühmten Bilde-
 
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