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Füssli, Johann Rudolf; Füssli, Johann Heinrich [Hrsg.]; Füssli, Johann Rudolf [Mitarb.]
Allgemeines Künstlerlexikon oder Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Mahler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider ... (2,7, Anhang): welcher das Leben Raphael Sanzio's, und die Litteratur von dessen Werken in sich faßt — Zürich: Orell & Füßli, 1814

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https://doi.org/10.11588/diglit.59570#0022
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Z4

„Daß" (sagt det Almanach aus Rom S.
120—22.) „Raphael wiederum da nicht stehen
blieb, wohin ihn bis zur Hervorbringung dec
Schule von Athen Drang nach Licht getrieben
hatte/ sondern daß er in dem von ihm geschaffenen
Styl sich immer kräftiger erhob / davon zeugen (in
der zweyten Stanze des Vatikans) sein Wunder
zu Bolsena, Petrus im Gefängnisse, Attila vor
Rom 63)/ und vor Allem sein Heliodor; nebst
dem Jncendio del Borgo 64) in der dritten. In
diesen herrlichen Schöpfungen allen offenbart sich
eine so gewaltige Gradation der Kraft seiner im-
mer sich stärker entzündenden Phantasie, wie seines
mit Riesenschritten dem Licht zueilenden Ver-
standes, daß sein Geist, nur durch das Gefühl
-zu einem Ganzen zufammengehalren 65),
die verschiedenen Kräfte mehrerer Menschenseelen
vereinigt zu haben scheint. So gewahrt er uns
den wahrhaft einzigen, dem Psychologen höchst
merkwürdigen Anblick des allmahligen Hervorge-
hens der höchsten Kraft zu dem sanftesten Gefühl.
Die Disputa und der Burgbrand stellen uns auf
die zwey entgegengesetztesten Gränzen aller mensch-
lichen , im Raum produzirenden Phantasie. Auch
sind es diese vorgenannten fünf Bilder, nebst den
vieren in der Stanza della Segnatura, welche
unter Raphaels Werken im Vatikan, zu seiner
Charakterisirung als dichtenden und zugleich als
ausführenden Künstlers besonders zu nennen sind.
Von diesen weiß man es nämlich am Bestimmte-
sten, daß nicht sein Geist allein, sondern auch seine ein-
zige Hand sie erschuf; und sollten auch einzelne Theile
in ihnen von seinen Schülern colorirt worden seyn,
so war er es doch, der ihre Umrisse entworfen,
und diesen endlich die letzte Vollendung^ertheilte."
Von jenen fünfen wurde zweye, nämlich das
Wunder von Bolsena, und der Heliodor 1512.
ausgefährt. Die darstellendsten Beschreibungen die-
ser, so wie aller übrigen Stanzengemälde, finden
sich theils bey vasan, vornehmlich aber, bis ins
kleinste Detail, bey Bellsn 66). Von dem Meß-
opfer bemerkt Füßli (I. 151.)/ daß es, nebst sei-
nen übrigen Schönheiten, auch durch die Lebhaf-
tigkeit des Kolorits unter allen größer» Frescoar-
beiten Raphaels sich auszeichne 67); und vom
Heliodor fällt Mengs das klassische Urtheil: Mik
diesem Bilde habe Sanzio Alles erwiesen, was
die Malerkunst noch über Michael Angelo hinaus
leisten konnte. Hören wir über dasselbe noch näher
die Propyläen (I. 2. 82—8Z.) an, wo es heißt:
6z) Von diesen beyden letztgenannten erst in 1514« ger

„Inder Reihe der großen Wandgemälde im Da-,
tikan, folgt die Geschichte des Heliodor eigentlich
auf die Schule von Athen, oder, wenn man lieber
will, auf die zwischen beyden gefertigten Darstel-
lungen der Klugheit, Mäßigung und Stärke. In.
der Vergleichung nun ist Styl und Sinn in dem
neuen Bilde weit ernster, größer, kühner und ge-
waltiger als in jenen ältern, die Behandlung noch
leichter und freyer, geistreicher und meisterhafter,
als selbst in jenen allegorischen Figuren; die Pin-
selstriche sind noch kecker und breiter; daher auch
das Colorit besser, frisch, und mit schöner Ab-
wechslung der Lokaltinten. Die Zeichnung kann
im Ganzen vortrefflich genannt werden, wenn es
gleich hie und da an der Genauigkeit in einzelnen
Lheilen gebrechen mag. Die Erfindung ist einfach,
groß, der Sache ganz angemessen; em hoher Sinn
und ein tiefer Verstand haben sie gemeinschaftlich
hervvrgebracht. Der so oft getadelte Anachronis-
Mus, baß ein Papst in den Tempel getragen wird,
mag immerhin grob psaffrsch seyn; als Anspielung
auf die Zeit des Künstlers, und das, was Julius II.
gethan hat, ist sie zu entschuldigen, wenn es ihr
gleich auch sonst noch zu sehr an Bewegung und
Mannigfaltigkeit fehlt, als daß sie gerade für ein
Muster gelungener Anordnung gelten könnte. Hin-
gegen ist die große Hauptgruppe des Bildes von
dem erscheinenden Reuter und den zwey Jünglin-
gen, welche herbeystürzen, und den zu Boden lie-
genden Heliodor züchtigen wollen, ein Meisterstück
dieser Art; leicht, los und frey, ist Alles durch-
sichtig, schwebt halb, und scheint sich wirklich vor
unfern Augen zu bewegen. Auf der entgegenge-
setzten Seite ist der gedrungene Klumpe von Weil-
bern und Kindern, welche im Schrecken vor der
Erscheinung zusammenfahren, nicht weniger lobens-
werth; L-cht und Schatten fällt auf jede einzelne
Flgur in großen schönen Massen; aber diese Mas-
sen erstrecken sich nicht über ganze Gruppen oder
Hauptparthien des Bildes zu einem allgemeinen
Effekt, welchen Raphael auch nie ernstlich gesucht
zu haben scheint. Alle Falten der Gewänder sind
gut, groß, breit, und deuteu die Bewegung der
Figuren sehr wohl an; allein nach Maaßgabe der
leichtern Behandlungsart dieses Bildes sind sie
nicht so sorgfältig gezeichnet und ausgefuhrt wie
in der Disputa, auch nicht so zierlich wie in der
Schule von Athen, machen aber größere Massen
und Parthien aus 68)".
Mittlerweile starb Julius II. und Leo X. bestieg
alten s. bald unten das Mehrere.

6;) Eben so. Denn das Jncendio wurde vollends erst 15,7- gemalt.
65) Was in aller Welt heißt das?
66) Auch Richardson in. ?. 385—399. und 405—8. und Ramöohr l. S. 548—58/ und 171-74. verdienet
über diese, fünf Darstellungen nachgelesen zu werden.
j 67) Auch in den Propyläen I. (2.) 83—84. heißt es von diesem Bilde, welches bekanntlich ein Wunder dar-
stellt, da ein Priester, der nicht an die Verwandlung im Abendmal glaubte, aus der Hostie Blut fließen sah:
„Dasselbe ist der Triumph von Raphaels Colorit, und weis't ihm ohne Widerspruch einen vorzüglichen Rang
unter den größten Meistern in diesem Fach an. Die Figur des Papsts, vor welchem Meße gelesen wird, der
Priester, die beyden Kardinale, ein Paar Köpfe der Wache habenden Schweizer, u. a. m. sind unübertrefflich,
wahrhaft, warm und natürlich colorirt". „Die Behandlung" (heißt es dann weiter) „ist noch vollkommener,
als in den vorigen Bildern, oder doch zum Wenigsten leichter und kecker, ja man möchte sagen beynahe ver-
wegen; kein Strich ist umsonst geschehen, alle sind äußerst bedeutend, nach Verschiedenheit der Stoffe, die sie
vorstellen sollen, verschieden und in der That bewundernswürdig; die goldnen Tressen, der Sammt, das Weiß-
zeug der Chorhemde u. a. d. ist überaus natürlich und meisterhaft dargestellt. In der Anordnung des Ganzen
war der Künstler durch das Fenster, welches unter dem Bilde ist, und bis in die halbe Höhe desselben hinauf-
reicht, gehindert worden; aber er wußte sich mit viel Geschicklichkeit zu helfen. Auch dis Ausspendung der ein-
zelnen Gruppen ist seiner werth, obschon man hier nicht solche ausgezeichnet schöne Stücke findet, wie in der
Schule von Athen oder im Heliodor. Einige Schattenfarben sind, der Natur der Freskomalerey gemäß, etwas
zu grau und trocken ausgefallen; doch nicht so, daß ein übler Effekt daraus entstühnde. Die Formen sind im
Verhaltniß eben so groß und edel, wie im Heliodor, die Aeichnung auf eben die Art im Ganzen gut und
richtig, aber in der Ausführung der Theile noch etwas leichter, und vielleicht zu leicht und nachläßig.
Schatten und Licht ist^ eben so wie in jenem Bilde, auf den Figuren im Einzelnen , in schönen Massen ver-
theilt; und so haben auch die Gewänder breite Falten, und große ruhige Parthien". Das Wunder zu Bolsena
findet sich, unfers Wissens, zuerst gestochen von F. Aquila in den kicturis dlro. 7. hierauf von F.
Fidanza, dann von R. Morphen, unter Volpato, nach der bsichnung von Tvffanelii, wie Füßtt sagt, sehr
schön, und endlich im Umrisse bey ümiöon Nrv. 64.
68) Bottart glaubt (wohl ohne genügsamen Grund), daß Jul. Romano an dem Heliodor gemalt habe , da sol-
cher von einer stärker« und sicherem (?) Färbung, als Raphaels sey. Einige Stücke des Cartons davon
Vesaß einst der Ritter Maffiui zu Cessna (Hasart), und späterhin die Köpfe der Heyden , den Heliodor ver-
 
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