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Füssli, Johann Rudolf; Füssli, Johann Heinrich [Editor]; Füssli, Johann Rudolf [Contr.]
Allgemeines Künstlerlexikon oder Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Mahler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider ... (2,7, Anhang): welcher das Leben Raphael Sanzio's, und die Litteratur von dessen Werken in sich faßt — Zürich: Orell & Füßli, 1814

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https://doi.org/10.11588/diglit.59570#0073
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che Schönheit. Mehr natürliche Grazie — und
eine andere giebt es ja nicht! — als diese Ma-
donna, haben wenige Gebilde der Kunst. Elisa-
beth blickt aus zu St. Joseph, der, an seinem
Stabe gleichsam hangend, mit seinem gutmnthigen
Gesichte gleichsam drein lächelt. Die Köpfe sind
schön, und bey allem, selbst Identischen, dennoch
mit Nationnlzügen und mit lieblicher Individuali-
tät verwebt; und dies ist es, was sie so reich an
Charackter, und in ihrer geistigen Fälle so anzie-
hend macht. Das Costume ist einfach, ohne die
mindeste Anmaßung, vermuthlich geradezu von der
damaligen Volkstracht entlehnt 574).
2. Das zweyte, ganz anders merkwürdige Ra
phaelische Bild, welches einst die Gallerie zu
Düsseldorf, jetzt diejenige von München ziert,
ist der Johannes in der Wüste (6/ 6" hoch,
4" br.). „Die Stellung desselben" (sagt Hein-
se 375) »ist schwer zu beschreiben"; und er be-
schreib! solche in der That so unverständlich wie
möglich. Und doch könnte sie kaum natürlicher
seyn. Die herrliche/ ganz nackte, nur um die
Hüften mit einer Schürze von Tygerfell bedeckte
Figur sitzt ans dem erhöheten Vorgrunde einer
dunkelen Waldgegend, womit seine schöne Beleuch-
tung nichts minder als unverträglich ist. Der
nachdenkende Blick seines mit krausen, tichtbraunen
Locken bedeckten Hauptes ist auf eine neben ihm
sprudelnde Quelle gerichtet, aus welcher er mit
einer Schaale in seiner Rechten einen labenden
Trunk geschöpft hat; in der Linken hält er ein
neben ihm auf dem Rasen ruhendes kleines Kreuz.
Außer dem Gehölze in geringer Entfernung ruht
ein kleiner Tempel; im Hintergrund eine Stadt
am Fuß eines hohen Gebirges. Von dem Ganzen
spricht Hemse allerley schönes — Helldunkeles 576).
Das Beste ist: „Erscheinung eines himmkfcheu
Geistes, dessen Heimath nicht auf dieser Erde ist,
so eben nur sichtbar in seiner irrdischen Schönheit;
ein reizender Jüngling, den, bey aller Huld, ein
Schein edler Wildheit und Mißmuths gegen das
Getümmel der Menschen umschwebt; der nun ab-
lassen will, von seiner düstern Betrachtung, wie
die sich neigende Sonne, und von der aus dem
Felsen quellenden Fluth sich willig kühlen laßt".
Weit besser hingegen spricht von diesem wahren
Wunderwerke der Kunst (das vielleicht besser wie
keines die Schönheit einer alten Bildsäule mit
Raphaels Ausdrucke vereint) wieder (6. I'o-
jterzTV), wie folgt: „Die Zeit hat diesem gött-
lichen Bilde gegeben und genommen; gegeben:
Eine Wahrheit des Kolorits, die es vielleicht bey
seiner Verfertigung nicht hatte; genommen aber
(doch nur an einigen Steilen) den bestimmten
Umriß, dessen dunkle Schatten sich in den noch
duukiern Hintergrund verlieren. Alles Uebrige ist
das Schönste, was man sich denken kann: Kraft
in Ruhe; nicht Abspannung, sondern Gteichge-

öS
wicht — dies ist hier das so schwierig zu lösende,
und doch so vollkommen aufgelöste Problem. Wir
sehen einen Mann in Iünglrngsschöne sitzen; der
Körper ruhet, doch nur vermittelst wirkender Mus-
keln, und der rechte Arm schwebt frey mit der
gefüllten Schaale. Indem er sie zum Munde füh-
ren will, verliert sich sein Geist in seiner mnern
Gedankenwelt, und seine Hand bleibt, ihm unbe-
wußt , schweben. Mildelächelnd belohnen seine
Lippen, von unentwcihter Reinheit, den, der ih-
rer Stimme horcht. Ist es vielleicht die stille
Freude einer bessern Zukunft? Wenigstens um-
schweben in diesem Augenblick frohe Gedanken 378)
den geschloffenen Mund, und scheinen gleichem
zu buhlen um die Hülle des Lautes. Niedergesenkt
ist der Blick; theilnehmende Bewunderung einer
geahndeten Größe 379) drückt die Augenlieder;
unter ihrer großen schwärmerischen Wölbung steht
ein Göttergesichk vor der innern Sehe, wogegen
ihm die mit Reiz geschmückte Erde nur Staub ist.
Ein Ocean von Begriffen liegt klar auf seiner Stirn
entfaltet. Wie heiter ist diese Stirne! Keine stür-
mische Leidenschaft stört den heiligen Frieden dieser
Seele, deren Kräfte doch im gegenwärtigen Au-
genblick so rege sind! Vom runden, festen Kinn bis
zur braun gelockten Scheitel, wie wunderschön ist
jeder Zug! und dennoch, wie versinkt diese Sim es-
schönheit in der erhabenen Schönheit der Seele!
Das Buch des Schicksals einer verdorbenen Welt
liegt auseinander gerollt vor den Augen dieses ho-
hen Jünglings 380). Durch Enthaltsamkeit und
Verlaugnung geschärft und gelautert, ergründete
sein reiner Sinn die Zukunft. In einsamen Wü-
steneien denkt er dem großen Bedürfnisse des Zeit-
alters nach. Zu edel für sein gesunkenes Volk hatte
er sich von ihm abgesondert, hatte es gestraft durch
das Bey spiel seiner strengen Lebensordnung, und
kühn gezüchtigt, mit brennenden Schmachrcden.
Jetzt fühlt der ernste Sittenrichter tief, daß diese
Mittel nichts fruchten; in die eckelhafte Masse selbst
«raß sich der bessere Gahrnngsstoff mischen, der je-
ner ihre Auflösung und Scheidung bewirken soll.
Aufopferung, Langmuth, Liede — und zwar — in
welchem den Geschlechtern der Erde, ja seiner rau-
hen Tugend selbst noch unbegreiflichen Grade! fo-
dert diese allgemeine Zerrüttung des sittlichen Ge-
fühls seines Volkes. Hier wagt er es, diese Ei-
genschaften vereinigt zu denken, und im Geiste das
Ideal zu entwerfen, das solche bis zur Vollkom-
menheit besitzt. Bald aber dünkt es ihn, dieses
Bild scy nicht ein bloßes Werk der Phantasie; es
verwebe sich mit ihm schon bekannten Zügen jenes
jugendlichen Gvttmenschen, in dem die Rettung
der Erdbewohner schon beschlossen liegt! Dieser
Ueberzeugung frohe Schauer sind es, die der ge-
senkte Blick, im innern Anschau'n verloren, uns
verkündet 381)." —
In E?alzcha!um sah man einst:

Z7g) Nach Sille diesem f. man noch (wenn man will!( was ein gewisser I. V. Freöou de la lAretouirieie,
Maler, in: sur l'nrt cts In PVMNU'O, laUwäux Ü6 w tMliei'ch 6c-
Mn-s (8 iv. 776.) p. .sg—s6. in der jämmerlichsten Sprache über dieses Bild faselt. Gestorben ist dasselbe
( nnsers Wissens) einzig in dem bekannten Galleriewerke, und späterhin, schlecht genug, im Niederrhein
Nischen Almanach -803,
375) t- c. S. 29/,.
576) l. c. 295-98.
377) I. c. S. 2.3r. u. ff. wo er (merkwürdig genug, und — wer weiß, vielleicht nicht ohne Grund) solches für
die Arbeit eines Unbekannten halt.
378) Hier, glauben wir, daß Heinse besser, als Foster, gesehen har.
579) Dessen, der da kemmen soll.
38o) Hier scheint Foster wieder ganz mit Heinse einzulenken.
58i) Auch dieses klassische Bild, von welchem denn doch der oben angeführte la Bvetonnr'ere l. c-, .,8—sft.
ebenfalls mit großem Lobe spricht, kennen wir nirgends gestochen, als in dem Düsseldorfer-Galle> iewcrk,
in dem gewohnten kleinen Formate desselben, und wahrscheinlich eine (gisse) Kopie davon, von Hesse, im
Rhein. Taschenbuch 1800. S. 68. Dann aber sahen wir ans dem Kürcher-Salon -8- / eine ganz vor-
treffliche Zeichnung nach dem Urbilde, von dem jüngern H. Lips in München, welche für den Stich durch
Ebendenselben bestimmt ist, und mit Recht die größten Erwartungen erregen muß. Möge es nur diesem
talentvollen Künstler an keinerlei) Art von Aufmunterung zur nahen Ausführung seines schönen Entschlusses
gebrechen!
Anh. zum VII. Heft. 17
 
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