ANNETTE KOLB / EIN KOMMENTAR ZU FLAUBERT g3
In Goethes Wesen war Liebe eingeschlossen. Das klingt, als wäre die
Wahrheit auf den Kopf gestellt. Mitleid und Liebe müssen scharf, aufs
schärfste getrennt werden. Wer hauptsächlich Mitleid empfindet, hat zu
Leid eine große Nähe; ist in irgendeiner Weise Freund des Leidens; liebt
die Schärfe des Leides, im Zufügen oder eigenen Erdulden. Mitleid eine
Kontrastempfindung, eine Reaktion, eine Abwehr. Dagegen ist Liebe ein
positives, sich selbst produzierendes Gefühl; Mitgefühl schließt es in
sich ein.
Christus am Kreuz, Mitleiden in höchster grausiger Steigerung heraus-
fordernd, war für barbarische, rohe Gemüter. Es ist aber möglich, daß
irgendwo dieser entsetzliche Anruf nicht nötig ist. Ich sage nicht: Mit-
leiden sei im Abendland überflüssig. Absurderweise ist gerade bei den
Schichten, welche die Religion protegieren und die Priesterschaft stellen,
dies Gefühl wenig entwickelt. Hinter die grausige Stachelung, die für
Barbaren bestimmt ist, stellt sich Goethe mit seiner anderen Artung. Die
Stachelung von außen ist überflüssig geworden; diese Geistesrasse braucht
die Dressur nicht.
EIN KLEINER KOMMENTAR ZU FLAUBERT
VON
ANNETTE KOLB
Der Flaubertianer war natürlich von Übel. Er war auf Ausschluß,
mit einer Pique auf andere bedacht. Zum Glück für Flaubert ist
es jetzt ruhiger um ihn geworden.
Auch das Raumlose untersteht vielfach der Zeit. Auch das geistig Fest-
gelegte umwittert sie, stündlich, wie ein sich selbst überlassenes Elaus. Da
In Goethes Wesen war Liebe eingeschlossen. Das klingt, als wäre die
Wahrheit auf den Kopf gestellt. Mitleid und Liebe müssen scharf, aufs
schärfste getrennt werden. Wer hauptsächlich Mitleid empfindet, hat zu
Leid eine große Nähe; ist in irgendeiner Weise Freund des Leidens; liebt
die Schärfe des Leides, im Zufügen oder eigenen Erdulden. Mitleid eine
Kontrastempfindung, eine Reaktion, eine Abwehr. Dagegen ist Liebe ein
positives, sich selbst produzierendes Gefühl; Mitgefühl schließt es in
sich ein.
Christus am Kreuz, Mitleiden in höchster grausiger Steigerung heraus-
fordernd, war für barbarische, rohe Gemüter. Es ist aber möglich, daß
irgendwo dieser entsetzliche Anruf nicht nötig ist. Ich sage nicht: Mit-
leiden sei im Abendland überflüssig. Absurderweise ist gerade bei den
Schichten, welche die Religion protegieren und die Priesterschaft stellen,
dies Gefühl wenig entwickelt. Hinter die grausige Stachelung, die für
Barbaren bestimmt ist, stellt sich Goethe mit seiner anderen Artung. Die
Stachelung von außen ist überflüssig geworden; diese Geistesrasse braucht
die Dressur nicht.
EIN KLEINER KOMMENTAR ZU FLAUBERT
VON
ANNETTE KOLB
Der Flaubertianer war natürlich von Übel. Er war auf Ausschluß,
mit einer Pique auf andere bedacht. Zum Glück für Flaubert ist
es jetzt ruhiger um ihn geworden.
Auch das Raumlose untersteht vielfach der Zeit. Auch das geistig Fest-
gelegte umwittert sie, stündlich, wie ein sich selbst überlassenes Elaus. Da