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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 3.1921

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Marées-Forschung
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Meier-Graefe, Julius: Marées und Hildebrand
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MAREES UND HILDEBRAND
VON
JULIUS MEIER-GRAEFE
Was ihn zu dem blonden Jungen zog, war das Blond, die Jugend. Und das Lachen.
Dieser Bursche von zwanzig Jahren lachte über alle Schwierigkeiten hinweg.
Er hatte die angeborene Sicherheit, die keiner Erfahrung bedarf, sah alles hundertmal
einfacher als es war, und behielt recht. Marees konnte keine Kiste zunageln. Goß er
Tinte ein, gab es Überschwemmung. Jeder eingeschriebene Brief war eine Geschichte.
Die paar Brocken Italienisch, die Hildebrand mit nach Rom brachte, genügten für alles
Notwendige. Sein lustiges, listiges Auge sagte den Leuten, was er brauchte. Mit Marees
gab es Mißverständnis, sobald er den Mund äuftat. Er verstand sich damals selbst
kaum. Es ist das Jahr 1867, die schlimmste Zeit. Marees, obwohl erst dreißig, fühlte
sich alt, war krank, hatte nichts zu essen, sah keinen Weg. Den Rest des Berliner
Leichtsinns hatte er in München gelassen. Vieles hatte er in München gelassen, un-
gefähr alles, was einen dort zum großen Mann machte, und stand bloß da, kaum einen
Lappen um die Lenden. So wollte er Raffael, Leonardo, die Antike erobern. Da gab
es nichts zu lachen, höchstens über den eigenen Größenwahnsinn. Der Weg in die
Zukunft hatte nichts von der Sonne Italiens. Konrad Fiedler, den er das Jahr zuvor
getroffen hatte, trug nicht dazu bei, die Stimmung zu heben, suchte selbst, ohne zu
wissen, was. Der blonde Junge lachte für alle drei. Er lockte die beiden ins Freie.
Es gab jenseits der Abstraktionen aus Leonardo und Raffael ein ganz anderes Rom, wo
man singend den braunen Mädchen unters Kinn griff und den Becher schwang. Es
war alles ganz einfach. Er stellte die Osterien auf den Kopf, trieb Studentengeschichten.
Die Italiener hielten sich den Wanst über den tollen Tedesco. Marees wurde zuweilen
mitgerissen und trieb es dann zur Verwunderung Fiedlers toller als irgendeiner, hielt
Reden an die Nacht, an die Sterne, auf das verfaulte Italien der Gegenwart — hol’ es
der Teufel! —, auf ein neues Italien, das er schaffen würde, er, Giovanni di Marees.
Es kam leicht etwas Verstiegenes, Scharfes und Hartes in seine Weinlaune. Hildebrand
behielt den Tanzschritt.
Das liebte Marees an dem Jungen. Der gehörte mit größerem Recht hierher als irgend-
einer der Zugewanderten, selbst als die lungernden Römer von heute. Marees weihte
sein Leben dem Denkmal auf den Geist Roms. Der blonde Junge hatte den Spiritus
loci in den Nerven, in den Sinnen, war mit Lichtheit geboren.
 
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