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Die Gartenkunst — 27.1914

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Nr. 19
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Spitzel, ... von: "Jedermann" und die deutsche Obstbausache
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https://doi.org/10.11588/diglit.20974#0294
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Klang, und den Einfluß der Ärzte schätzen
wir gerade in dieser Sache so hoch, daß selbst
der Kreismedizinalrat den Ärzten diese Förderung
warm empfehlen sollte. — Die gesellschaftlichen
Verhältnisse bringen es mit sich, daß der Bezirks-
amtmann und die übrigen Beamtengruppen
zu einander meist in regem Verkehr stehen,
denn sie alle können mitwirken, jeder in seiner
Umgebung für die Mehrung der Obst- und Spalier-
zucht. Dies gilt auch für den Verkehr zwischen
Beamtentum und Offizierskorps; der Krieg bringt
sie ohnehin einander noch näher. Die Anregungen
werden aber beim Heer ein um so willfähigeres Ge-
hör finden, da erst aus jüngster Zeit eine preuß.
Kriegsministerialverfügung vorliegt, welche die Pflan-
zung von Obstbäumen und Spalieren in Kasernen-
höfen, Schießplätzen etc. den Abteilungen, besonders
aber den Intendanturen und Militärbauämtern aufs
wärmste und angelegentlichste empfiehlt, um nicht
zu sagen, befiehlt. Dieser Empfehlung wird nach
dem Krieg umso leichter nachgekommen werden,
als „Mangel an Geld" keine Entschuldigung mehr sein
wird. Den Bezirksamtmännern und den Bürger-
und Oberbürgermeistern sind dieFabrikbesitzer,
Direktoren und Aufsichtsräte wohl selten fremde
Menschen, und sie können die meist gut Gebetteten
leicht dahin bringen, daß sie die vielen Millionen
Quadratmeter Fabrikwandflächen, die Häuser der
Arbeiter, Angestellten und Beamten etc. mit Obst-
spalieren bekleiden lassen und die zugehörigen
Höfe, Gärten und Gärtchen dem Obstbau und der
Spalierzucht erschließen. Ein Stück sozialer Frage
und Fürsorge kann da und zwar in nicht geringem
Maße gelöst werden zugleich mit einer Bindung an
die heimatliche Scholle — an die heimatliche Scholle
— nicht im despotischen, sondern in wohlgemein-
tem, freundschaftlichem Sinne! Das Interesse für die
Obstzucht und die Sicherheit der Anlagen wird aber
gewährt und gestärkt werden, wenn die Arbeiter-
und Gewerkschaftskassen etc. zu den Spalier- etc-
Kosten einen, wenn auch geringen Zuschuß geben,
damit nicht etwa das Gefühl und der Gedanke einer
Gnade das Obst versauert.

Eine wichtige Rolle in unseren Bestrebungen
spielen die Herren yom Baufach, von der obersten
Baubehörde und den bedeutendsten Architekten an-
gefangen herab bis zum jüngsten Polier, der sich
auch Architekt nennt, und die Landschaftsgärt-
ner. Wenn auch die Zahl der Spaliergegner unter
den erstgenannten immer mehr abnimmt, da es
allgemein als eine vorsindflutliche Anschauung gilt,
von dem Feuchtwerden der Wände durch Obst-
spaliere in unserem Jahrhundert noch sprechen zu
wollen, weil diese Unstimmigkeit und Spalierver-
leumdung längst erwiesen ist, so besteht doch noch
eine solche Abneigung in gewissen Kreisen, sodaß
eigentlich die oberste Baubehörde und die Kreis-
baubehörden diesen Widerstand gründlichst beheben
sollten. Hier wäre ein Ukas am Platz und zwar
in allerschärfster Form und Sprache. Russisch. Die

Anbringung der Obstspaliere müßte mit allem Nach-
druck befohlen werden. Ausnahmsfälle müssen ein-
gehend und tatsächlich begründet werden.

Die Landschaftsgärtner sollen endlich eben-
falls einsehen, daß die Ausdehnung des Obstbaues
und der Spalierzucht in ihrem eigensten Vorteil liegt
und daß in dem Schlagwort „Die Zukunft der Land-
schaftsgärtnerei liegt auf dem Gebiet des Obstbaues"
ihr Heil enthalten ist! Die Wirkungen, Effekte und
Schönheiten, die man mit Zierbäumen und Zier-
sträuchern erzielt, kann man ebensogut mit Obst-
bäumen und Beerensträuchern hervorrufen, ja die
Zierde dauert sogar länger und ist vielseitiger,
weil zum Schmuck der Blüte noch die der Frucht
hinzukommt, und das prächtige Tafelobst hat man
noch überdies. Das sollten aber auch die Villen-
besitzer bedenken, ihre jetzigen reinen Ziergärten
in zierliche Obstgärten verwandeln und neue gleich
als Musterobstgärten anlegen. Zur Genüge ist an-
gedeutet, wie jede Familie, jeder Beruf, jedes
Geschlecht, jedes Alter, kurz „Jedermann" aus-
nahmslos mitwirken kann an der Verbreitung, Ver-
mehrung und Verbesserung des Obstbaues. Damit
aber in keinem Bezirk obstbauliche Fehler gemacht
werden und für den Absatz Vorsorge getroffen wird,
damit die richtige Pflege, Behandlung, Düngung,
Schädlingsbekämpfung überall verbürgt und ge-
sichert ist, ist in jedem Bezirksamt mindestens
ein tüchtiger „B ez irks b aumw art im Haupt-
amt" aufzustellen. Wo ein solcher seines Amtes
umsichtig, eifrig, anregend und unablässig waltet,
da ist Obstbau und Spalierzucht nicht nur eine
Quelle der Befriedigung und Freude, sondern auch
reicher Einnahmen. Die Baumwarte sollten aber,
wie es zuweilen geschieht, nicht abwarten, bis man
sie ruft zu Neupflanzungen usw., nein, aus eignem
Antrieb muß er sich die Beispiele heraussuchen,
welche sich oft förmlich aufdrängen; er darf nicht
eher rasten und ruhen, bis ihre obstbauliche Be-
pflanzung erfolgt ist.

Keine Schule irgend welcher Art und Be-
stimmung, keine Kaserne, in welcher in
Deutschland mindestens 1 Million Soldaten der
aktiven Armee, der Reserve und Landwehr ver-
kehren, die wieder von 3 — 4 Millionen ihrer Ver-
wandten, Freunde — auch Freundinnen — besucht
werden, kein Lazarett und Genesungsheim,
kein Post- und Bahngebäude, kein staat-
liches oder gemeindliches Gebäude, keine
Fabrik und keinArbeiterhaus, kein Schloß,
keine Villa, kein Herrensitz und kein
Bauernhaus seien künftig ohne Spalier!

Ein einziger Obstgarten, e i n e fortlaufende
Spalierreihe sei und werde nach dem Krieg unser
herrliches deutsches Reich und Vaterland und das
Obstspalier werde ein untrennbarer Bestandteil der
deutschen Bauweise, welche die Liebe zum heimat-
lichen Herd, zur heimatlichen Scholle noch fester
und dauerhafter in unsere Herzen begründen wird!!!

v. Sp.

Für die Redaktion verantwortlich: Gartendirektor Heicke, Frankfurt a. M. Selbstverlag der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst.

Druck der Königl. UniversitätBdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
 
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