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Die Gartenkunst — 30.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.21302#0081
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Pflanzungen, die Verwendung der Nadelhölzer, die
Bedeutung der Baumgruppe und des Einzelbaumes
in der Landschaft, und schließlich werden Acker und
Ödland, in früheren Zeiten fast verkannt in ihrer
gewichtigen Mitwirkung im Landschaftsbilde ge-
schildert. In all diesen Teilen des Buches erfreut
uns das Drängen des Verfassers auf Steigerung
unserer Empfänglichkeit für den wohltuenden Klang,
den gerade die besiedelte, wirtschaftlich ausgebaute
Landschaft haben kann, wenn Menschen mit lieben-
dem, offenem Auge und gebildeter Hand sie aus
dem Naturzustand zu ihrer Wohnung umgeformt
und dadurch zur Heimat gemacht haben. Anschau-
lich und überzeugend zeigen die zugehörigen Bilder,
wie Menschengeist die Landschaft beseelt, Krämer-
sinn sie entseelt. Sie bestätigen den Ausspruch des
Verfassers „Wirtschaft bedeutet mehr als Geldge-
winn, und es gibt Werte, die höher einzuschätzen
sind für das Volksgedeihen als gute Bilanzen". Möge
diese Wahrheit im durchgepflügten Acker unserer
Gegenwart kräftiger Wurzel fassen als im Brach-
land früherer Tage und gute Frucht bringen. Dazu
wird Schultze - Naumburgs Kulturarbeit zweifellos
mit beitragen. v. Engelhardt.

Wald und Garten, von Gertrude JecKyll, aus dem

Englischen übersetzt von Gertrud von Sanden. Ver-
lag Friedr. Brandstetter, Leipzig, 2. Auflage. „Prak-
tische und kritische Anmerkungen und Gedanken
eines arbeitenden Amateurs" — so lautet der Unter-
titel dieses Buches, das hoffentlich in seiner neuen
Auflage die gleiche wohlverdient freundliche Auf-
nahme wie die vorige finden wird—trotz der eng-
lischen Verfasserin. Die nationale Abstammung spielt
hier keine wesentliche Rolle. Der selten wertvolle
Gehalt des Buches liegt darin begründet, daß hier
ein feingebildeter Mensch seine reichen Sinnes- und
Herzenseindrücke aus der mannigfaltigen Pflanzen-
welt seines Gartens und ebenso die liebevoll ge-
staltende Pflege, die er ihr angedeihen läßt, so warm
und anziehend zu schildern weiß, daß der Leser all
die Freuden, die aus solcher Tätigkeit erwachsen,
miterlebt. Allzuviele unserer Gartenbücher be-
schränken sich auf lehrhafte Kulturanweisungen und
Beschreibungen, denen es an Eindrucksfähig keit fehlt;
sie sind aber meist auch als Nachschlagebücher, denen
jener trockene Ton wohl zukäme, unzulänglich, weil
ihre Vollständigkeit viel zu wünschen übrig läßt.
Ich kenne kein Buch in unserer Gartenliteratur, das
wie das Jeckyll'sche den zweckgemäßen gärtnerischen
Eingriff so faßlich und begründend erläutert und
damit zugleich Beobachtungen an Lebensvorgängen
der Pflanze verknüpft, die bald in künstlerischer
Hinsicht Freude in uns zeitigen, bald vom biologi-
schen Standpunkt unser ganzes Interesse in Anspruch
nehmen. Alles das kann aber nur der Mensch uns
bieten, der mit fein empfänglichem Sinn, mit ganzer
Hingebung persönlich Hand anlegt statt des Miet-
lings , der einmal wöchentlich den Garten aufzu-
räumen die Pflicht hat. „Man kann kaum an dem
bescheidensten Cottage-Garten vorbeigehen", bekennt
die Verfasserin, „ohne etwas Neues zu lernen oder
zu beobachten. Hier sind es zwei Pflanzen, die durch
irg end einen glücklichen Zufall in schönster Harmonie
mit einander wachsen, dort ein wirres Rankenge-
flecht, oder man entdeckt einen alten Freund, von
dem man immer geglaubt hat, er müsse an einer
warmen Südmauer stehen und der sich augenschein-
lich an der Ostmauer sehr wohl fühlt. Aber Auge
und Verstand müssen wach sein, um den Eindruck
zu empfangen und ihn mit Fleiß aufzuspeichern in
der Vorratskammer der Erfahrung. Und es ist
wichtig, daß man sein „Blumenauge" schärfe, um
auf den ersten Blick sehen zu können, welche Blumen
gut sind und welche wertlos, und warum sie so

sind; und daß man seiner Sache sicher sei um
nicht von der kleinlichen Tyrannei des „Blumen-
kenners" oder des Preisrichters abzuhängen. Denn
wenn auch dessen Urteil zum Teil ein gesundes
sein mag, so ist er doch ein Sklave gewisser
Regeln und muß nach Gesichtspunkten urteilen,
die willkürlich und starr sind und hauptsächlich auf
den Ausstellungstisch Bezug haben, wo solche Dinge
wie Gärten und Gartenschönheit, Menschenfreude
und Sonnenschein und die wechselnden Beleuch-
tungen des Morgens und des Abends und des Mit-
tags außer acht gelassen werden als seien sie nicht
wert, in Betracht zu kommen". Diese Zeilen aus
der Einleitung konnte ich mir nicht versagen, hier
hinzusetzen als Beispiel für den Durst gebildeten
Strebens und den Willen zu selbständigem Wert-
urteil, die in wohltuender Klangfarbe und gesundem
Wechsel das ganze Buch durchziehen. Durch alle
Jahreszeiten führt uns die Verfasserin in die ver-
schiedenen Teile ihres Gartens, und läßt uns an
ihren Schutzbefohlenen immer wieder neue Reize
entdecken. Auf Farben und Duft, auf Stimmungen
und Geräusche, auf eigenartige Formverbindungen
im Werden und Vergehen der Pflanzen wird un-
sere Aufmerksamkeit gelenkt, und angeregt zu neuer
Vertiefung, erfrischt durch heiter strebende Leben-
digkeit legen wir das Buch aus der Hand voll Dank
für seine reiche Freudenspende. v. Engelhardt.

Dr. C. Flügge, Großstadtwohnung und
Kleinhaussiedelungen. Verlag von Gustav Fischer,
Jena 1916. — Der Verfasser ist Hygieniker, Profes-
sor an der Berliner Universität. Er untersucht
eingehend die Sterblichkeits- und Krankheitsver-
hältnisse der Großstadt. Er hält nicht die Ver-
hältnisse auf dem Lande für gesünder und besser.
Er kommt vielmehr auf Grund seiner Feststellungen
zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der Sterblichkeit
die Großstädte gegenüber dem Lande keineswegs
ungünstig dastehen, daß vielmehr die im Verhält-
nis zur Bevölkerungszahl sinkende Sterblichkeits-
ziffer in den Großstädten nicht nur unter der des
Landes, sondern sogar unter dem Staatsdurchschnitt
steht. Diese günstige Auffassung hält sogar Stand,
wenn man die Einzelposten, aus denen sich das
Durchschnittsergebnis herleitet, prüft. Und dies Er-
gebnis ist nicht etwa auf wesentliche Änderungen
in der Wohnweise zurückzuführen, selbst nicht bei
den Säuglingen, für die das „Hochsommerklima"
der Großstädte anerkannterweise sehr verderblich
wirkt. Er lehnt auch die Annahme ab, daß die
Tuberkulose als sogenannte „Wohnkrankheit" an-
zusprechen sei. Wenn viele Schwindsüchtige in un-
zulänglichen Wohnungen in der Großstadt starben,
so führt er dies darauf zurück, daß sie die Krank-
heit aus anderweitigen Ursachen erworben haben,
in ihrer Erwerbsfähigkeit geschwächt wurden, daher
in immer billigeren, ungünstigeren Wohnungen Unter-
kunft suchen mußten und schließlich darin starben.

Dagegen führt er die festgestellte ungünstige
Beeinflussung der Militärtauglichkeit der Großstadt-
bewohner auf die mangelhafte körperliche Ausar-
beitung der heranwachsenden Jugend in frischer Luft
zurück. Eine Überlegenheit freistehender Baublocks
gegenüber der geschlossenen Bauweise läßt er nicht
gelten, auch nicht den Einfluß übler Gerüche, ver-
brauchter Zimmerluft. Dem sind die Landbewohner
in ihren erfahrungsmäßig schlecht gelüfteten Häusern
in gleichem Maße ausgesetzt. Aber bei ihnen fehlt
die in der Großstadt häufige Unterernährung, der
Mangel an Bewegung im Freien, ungesunde Be-
schäftigung. Nachteilige Wohnungsverhältnisse kön-
nen nach ihm durch genügenden Aufenthalt in freier
bewegter Luft ausgeglichen werden, den bequemen
Weg ins Freie bezeichnet er als das Hauptziel

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