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Gerhard, Eduard [Hrsg.]
Apulische Vasenbilder des Königlichen Museums zu Berlin — Berlin, 1845

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https://doi.org/10.11588/diglit.3830#0003
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III

EINLEITUNG.

IV

giösen Cerimoniells nur untergeordnet und erläuternd nebenhergeht, geben die grössten und
geschmücktesten grossgriechischen Thongefösse gemeinhin als Hochzeitsgeschenke sich kund,
wie ein altgriechischer, schon von Zeus für Alkmene befolgter, Brauch deren kannte (19).
Viele solcher Hochzeitsvasen konnten zugleich mit anderem Lieblingsbesitz des Verstorbe-
nen in dessen Grab eine Stelle finden; dass aber nicht alle Gefässe, deren Bilderschmuck
hochzeitlich ist, eine wirkliche Hochzeitsbestimmung hatten, geht aus der Verbindung sepul-
craler und erotischer Darstellungen im Umkreis eines und desselben Gelasses (V. XII) nicht
selten hervor, der oft durch mangelnden Boden nachweislichen Prunkbestimmung ähnlicher
Gefässe, ohne bezweckten Gebrauch (20), zu geschweigen. Kein Vasenbild ist zur Hoch-
zeitsfeier geeigneter als, neben Pelops und Hippodamia, die reizende Darstellung der Atlas-
töchter im Hesperidengarten, und keines schliesst doch der Grabesbestimmung sich näher
an als, auf der andern Hälfte eines berühmten mit jenen Gegenständen geschmückten Ge-
fässes, die Leichenbestattung des Archemoros (21)- Es kann daher bei den apulischen Va-
sen, trotz ihrer Ueberfüllung mit Liebesscenen, eine ursprüngliche Hochzeitsbestimmung weit
weniger eingeräumt werden als bei den zahlreichen Hochzeitvasen etruskischer Gräber-
funde, deren Gefässmalereien fast jeden Bezuges auf Leichenbestattung ermangeln (-); wohl
aber ist anzunehmen, dass ihnen als Grabmonumenten neben der unmittelbaren Todes-
beziehung eine bildliche Hinweisung auf die bedeutendsten Ereignisse des Familienlebens,
unter diesen vorzüglich auf Hochzeit und Einweihung, in einem des klassischen Alterthums
würdigen Rückblick auf die durchmessene Laufbahn eingeprägt wurde, wie solcher sich
selbst auf römischen Marmorsärgeu in Hochzeitsbildern neben der schon geöffneten Grabes-
thür zu erkennen gibt(23).

Dem Euphemismus, der solchergestalt im bildlichen Umkreis der Gräbervasen die
heitersten Lebensbilder zusammenzustellen bemüht war, entspricht auch an untergeordne-
ten Stellen das reiche Verzierungssystem ihrer Bildnereien. Nur selten blieb bei so be-
trächtlichem Umfang auf ihnen ein Zwischenraum übrig; bis an Mündung und Fuss der
Gefässe (Taf. X) reicht oft ihr bildlicher Schmuck, und namentlich sind schmale Streifen
in Mitten der Hauptdarstellungen theils zu gefälligem Pflanzenschmuck (I—IV. XII), theils
zu bedeutsamen Thierfiguren benutzt, die ein neptunisches Hauptbild mit Seegeschöpfen
(VII) oder den ernsten Eindruck der Grabesweihung mit den Bildungen reissender und
gescheuchter Thiere (VI. XI) begleiten. Am stattlichsten aber pflegt der oberste Theil die-
ser Vasen geschmückt zu sein: Pflanzenverzierungen sind zur Umgürtung von Hals, Mün-
dung und Henkeln nicht gespart, und die oft unverkennbare Bedeutsamkeit jenes Bilder-
schmucks reizt neben dem gefälligen Anblick desselben zu fortgesetzter Betrachtung. Un-
beschadet der künstlerischen Freiheit, die in verzierender Benutzung von Wucherpflanzen
zu schwelgen liebte, ist einer archäologischen Botanik zur Bestimmung des Blätter- und
Blüthenwerks, das sich dort wiederholt, Vieles noch vorbehalten. Ueber der räthselhaften
Palmette, die in unzähligen Fächerblumen wiederkehrt, pflegen vorzüglich Akanthosblätter,
Schlingranken und Lotoskelche sich zu erheben (24). Neben und über diesen erblickt man
nicht selten Gestalten menschlicher Bildung (25): dann und wann ist eine geflügelte Siegs-
oder Weihungsgöttin (V), häufiger ein Flügelknabe (III), Aphroditens hochzeitlicher Bote,

(■9) Zeus und Alkmene: Athen. XI, p. 474 f. Paus. V,
18. Plaut. Amph. I, 104. Panofka Hyperb. Studien S. 179.
Vgl. Panofka Recherches p. 39. Gerhard Rapp. volc. not. 914 ff.
Auserl. Vasenb. I, S. 97.

(2°) Ein vonLuynes (Ann. d. Inst. V, p. 318 ff) scharf-
sinnig dem Fass der Danaiden verglichener Gebrauch, der nur
bei unteritalischen Vasen, denselben in denen Mysterienbilder
heimisch sind, sich vorfindet.

(21) Archemoros und die Hesperiden (Titel meiner Ab-
handlung: Berl. Akad. 1836) auf der auch in den Mon. d. Inst,
pl. V. VI (Section franc.) erschienenen Ruveser Vase des Mu-
seums zu Neapel.

(S2) Nach dem oftmals (Rapp. volc. p. 96. 199 f. und
sonst) von mir aufgestellten Grundsatz, den ich jedoch von be-
freundeten Vasenerklärern allzuwenig beherzigt finde.

(^J Vermählung und Grabespforte, vatikanischer Sarko-
phag im Belvedere: Gerhard Antike Bildw. Taf. LXXV, 2.

(**) Pflanzenverzierung: worüber nach Böttiger (Ueber die
Vasenarabeske: Vasengemiilde I, S. 76 ff.) besonders Migliarini
sopra alcuni ornamenti funebri (Ann. d. Inst. XV, p. 367 ff.)
gehandelt hat.

(s5) Menschliche Gestalten und Köpfe: Böttiger Vaseng.
I, S. 93 ff. Migliarini Ann. XV, p. 390 ff., tav. 0. Q.

(26) Weil Kora schön wie Aphrodite gebildet und dieser
gleichgesetzt wird, gab Aphroditens Liebling, der beflügelte

Eros, zugleich den natürlichsten Typus für Kora's Mysterien-
diimon. Vgl. Venere Proserpina pag. 17.

(27) Mythische Metamorphose: Creuzer Symb. IV, S. 253.

(28) Bildnisse einer geliebten Schönen: nach Böttiger Va-
seng. I, S. 95 f., wofür auch der wechselnde Haarputz ange-
führt worden ist (Panofka Mus. Bartold. p. 80. Vgl. Prodr.
S. 232, 20). Auf volcentischen Gefässen bleibt diese Deutung
die anwendbarste (Rapp. volc. not. 528- 529), die dann um so
eher auch für behelmte Männerköpfe archaischen Styls (Trink-
schalen S. 3, Anm. 4) gültig ist.

(29) Diese Deutung auf verklärte Verstorbene erwähnt
auch Panofka Mus. Bartold. p. 80-

(30) Mit Beziehung auf pythagorische Heiligkeit der Hül-
senfrüchte (Lucian. Dial. Mort. XX. Migliarini Ann. XV, p.
378 ff.) und auf den Wunsch süssen Duftes für Abgeschiedene
(iv pvQOig ßS tixvov jj yjvyj: Marini Inscr. Alb. n. 192. Mig-
liarini 1. c. p. 390).

(31) So schwebt Achills und des Patroklos Schatten über
den Kämpfen der Seinigen: Rochette Mon. ined. pl. XVII.
XVIII. Gerhard Auserl. Vas. III, 198.

(32) Männliche Götterköpfe finden an gleicher Stelle sich nur
ganz ausnahmsweise (so der Ammonskopf unsrer Tafel II) aber
auch auf archaischen Vasen. Vgl. Anm. 34 e, Prodr. S. 231 13-

(33) Häufig sind solche Brustbilder und Köpfe der Myste-
riengöttin nicht nur am Halse von Thongefässen; auch in Ge-
fässformen, denen ein ähnlicher mystisch geschmückter Frauen-

der aphrodisischen Kora Mysteriengenius (2a), am häufigsten ein Frauenkopf dort zu bemer-
ken, dessen reizende Erscheinung theils als mythische Metamorphose (27), theils als bräut-
liche Huldigung sterblicher Frauen (28), theils auch als sepulcrale Verklärung (29) gefasst
worden ist. Diese letztere Ansicht ist mancher weiteren Ausführung fähig: im Blumen-
schmuck jener Frauenköpfe kann der Gedanke gemeint sein, als sei die Seele der Abge-
schiedenen in Blumenverkleidung und Blumenduft dargestellt (30); wird aber hiebei noth-
wendig vorausgesetzt, dass die Verklärung der Todten nicht als vervielfältigte Psyche, son-
dern in Gestalt und Geschlecht ihres Schattenbildes (31), der Erscheinung im Leben ent-
sprechend dargestellt sei, so müssten alle mit weiblichen (32) Köpfen am Hals verzierten Ge-
fässe lediglich zur Ausschmückung von Frauengräbern bestimmt gewesen sein, was bei ihrer
grossen Anzahl und bei der Menge heroischer Darstellungen keineswegs wahrscheinlich ist.
Wir halten daher vielmehr die Ansicht fest, dass in jenen räthselhaften Köpfen unteritali-
scher Vasen die Mysteriengöttin Kora zu erkennen sei, in deren so häufigem (33) als aus-
drucksvollem (34) Kopf- und Brustbild (35) in Mitten eines allerorts verbreiteten Mysterien-
wesens jeder gleichzeitige Beschauer auch das in Göttergestalt verklärte Antlitz der ihr
geweihten Verstorbenen sich denken konnte. Die Blüthenpracht, in welcher die Göttin
weilt und aus welcher sie aufsteigt (36), steht bald als wiederkehrender Frühlingsgöttin,
bald als der im Wuchergewächs der Gräber gebietenden Unterweltsgöttin ihr zu. Für
einen wie für den andern Begriff hat der Verzierungsstyl ähnlicher Köpfe uns die Belege
erhalten, zugleich aber auch für den asiatischen Kunstgeschmack, der im Zeitalter dieser
Gefässe der griechischen Kunst sich bemächtigt hatte.

Bei der Verwahrlosung, die bis auf unsre Zeit, wenig Ausnahmen abgerechnet, den
Kunsttrümmern des Alterthums allzu oft eine zweite Zerstörung zuzog und mit den Nach-
richten ihrer Auffindung um so tyrannischer schaltete, scheint auch,die nähere Kunde des
Vasenfundes für uns verloren zu sein, dessen stattliche Ueberreste wir nun nach Anleitung
der beifolgenden Tafeln betrachten wollen. Einigermassen jedoch wird der Mangel solcher
Notizen uns vergütet theils durch den reichlich in mehrfache Gegenstücke vertheilten bild-
lichen Inhalt, theils durch die Anzahl der hier aus gleichem Fundort zusammengestellten
Prachtvasen erster Grösse. Vergleichbar in beider Beziehung mit den durch Miliin bekann-
ten, gegenwärtig zu München befindlichen, Vasen von Canosa und mit den zahlreichen Fun-
den Ruvo's, welche den neuesten Zuwachs der Königl. Vasensammlung zu Neapel bilden,
können unsre Vasen von Cälia die Vergleichung mit jenen verwandten Funden auch darum
aushalten, weil sie nach Massgabe ihrer Beschaffenheit als ein ursprünglich vereinigter Gräber-
schmuck füglich sich denken lassen. Während die mehrfachen Prachtgefässe von Ruvo, aus
verschiedenen Grabungen herrührend, einer solchen Gesammtbetrachtung sich entziehen,
hat die Entdeckung der Vasen von Canosa (37), auch ohne erhaltene Kenntniss ihrer ursprüng-
lichen Aufstellung, einen Massstab für das unterirdische Schatzhaus uns erhalten, dem unsre
zahlreicheren Vasen von Cälia, symmetrisch und sinnvoll neben einander gereiht, angehört
haben mögen.

Berlin, 9. August 1845.

köpf zu Grunde liegt (Gerhard Bildw. CI, 2. 3. Berlins Bildw.
S. 234), und in zahlreichen Votivbrustbildern aus ungefirniss-
tem Thon (Gerhard Bildw. S. 338. Panofka Terracotten LI1I.
Vgl. VII), beides Denkmälergattungen gleichartiger unteritali-
scher Abkunft, ist dieselbe Mysteriengöttin unverkennbar. Auch
die Griffe manchen Erzgeräths, die etruskischen Spiegel nicht
ausgeschlossen (Prodr. 107, 186), dienen zur Vervollständigung
der dahin einschlagenden Belege.

(u) Ausdrucksvoll erscheint das Bild jener Göttin theils
a) im Reiz ihres an Aphrodite erinnernden Angesichts, ver-
bunden mit jugendlicher Entblössung der Brust, und in der
Göttlichkeit, die dann und wann durch Flügel sich kundgibt
(Berlins Bildw. no. 1070 u. a.); theils 6) in Verschleierung
und Myrtenbekränzung, hauptsächlich aber in cerealisch-bacchi-
schem Kopfputz (Kalathos, Thurmkrone, Efeu, Greifen: Prodr.
Taf. XVIII, Anm. 25. 24. 23), wozu als Symbol der Mond-
göttin wol auch die phrygische Mütze zu rechnen ist (Miliin
Vases II, 32. Prodr. 231, 13. 232, 26. Unten Taf. A, 12. An-
ders Visconti. Der scheinbare Adonis ist aber eher als Lunus
zu fassen mit Panofka Mus. Bartold. p. 80). Ferner c) in son-
stigen Attributen, wohin aus den Thonbrustbildern (Gerhard
Bildw. S. 338) die von der Göttin gehaltenen Früchte zu rech-
nen sind; d) in Geberde und Bewegung, wohin die auf der
Brust ruhenden Hände ähnlicher Votivbrustbilder (Venere-Pro-
serp, p. 40 ff. Ueber Venusidole S. 6. 17) gehören, aber auch der
strahlenbekränzte Kopf einer dem Boden entsteigenden, auf die

Rückkehr der Kora bezüglichen, Göttin (Vasenbild: Berlins Bildw.
no. 990); e) in Nebenfiguren, theils des Mysteriendämon
(Prodr. S. 231, 14. Auch archaisch mit Brustbildern Athenens
und des Herakles: Laborde II, p. 31; mit einem der Dioskuren:
Laborde II, p. 2. Prodr. S. 231, 15), theils eingeweihter In-
dividuen (zwei Bassariden: Ann. XV, tav. O. Q, wonach Tisch-
bein IV, 14 im Prodr. S. 231, 12 richtig erklärt ist). So
spricht auch die dann und wann bemerkliche Doppelzahl ähn-
licher Frauenköpfe (Prodr. S. 231, 16. Vgl. S. 367) entweder
für die zwei eleusinischen Göttinnen oder doch für deren Einge-
weihte, und, wo ein solcher Kopf einzeln erscheint, für Kora.

(35) Kopf- und Brustbilder statt der ganzen Gestalt sind
aus altgriechischem Gebrauch hauptsächlich für Mysteriengott-
heiten, namentlich für Praxidike (Suid. Hesych. s.v.), bezeugt.
Vgl. Minerva Capta, Koryphasia: Prodr. S. 64. 107.

(36) Beides kommt unzweifelhaft vor. Flügelgestalten, ver-
hüllte Figuren, auch manche der einzelnen Köpfe, deren wir
vorher gedachten (Anm. 25. 34), sind nur tanzend und weilend
auf Blumen zu denken, und eben diese Annahme ist auch für
manche über Blumen erscheinende Frauenköpfe durchaus denk-
bar; andererseits wird die einseitige Annahme dieser Erklärung
(Prodr. S. 231, 12) durch Bildungen abgelehnt, in denen der
Frauenkopf sichtlich der Blüthe entspriesst, wie auch Visconti,
Böttiger, Creuzer u. A. es fassten.

(») Plan des reich geschmückten Grabmals bei Miliin:
Tombeaux de Canose pl. I, p. 2 ff.
 
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