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Gerhard, Eduard [Hrsg.]
Apulische Vasenbilder des Königlichen Museums zu Berlin — Berlin, 1845

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https://doi.org/10.11588/diglit.3830#0004
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APULISCHE VASEffBILDER

TAFEL I —IV.

DIONYSIAKA, DIOMEDES IN DAUMEN, AMAZONEN.

Die beiden einander entsprechenden Vasen, deren Abbildung uns vorliegt (1), sind gleich-
massig ausgezeichnet durch Grösse und Zierlichkeit ihrer Form, durch das gefällige mit
Götter- und Frauengestalten durchzogene Blumenwerk ihres den Hals des Ganzen bilden-
den Deckels, und in ihren Hauptgemälden durch die Vereinigung heroischer Sagen mit der
Darstellung von Gestalten und Festgebräuchen des in Grossgriechenland zur Zeit dieser
Vasen überschwenglich verbreiteten bacchischen Dienstes. Obwohl Darstellungen dieser
letzteren Gattung in ihren häufigen Wiederholungen bei allem Reichthum künstlerischer
Motive uns wenig zu reizen pflegen, so verdienen sie doch in diesen Gefässen, in denen
der Mittelplatz ihnen eingeräumt ist, eine vorzügliche Beachtung. Die behagliche Ruhe des
Dionysos ist in der oberen Hauptreihe beider Gefässe dargestellt. Auf einem langen
Sessel, der mit einem Pantherfelle belegt ist, sieht man den jugendlichen Gott halb sitzend
ausgestreckt und auf die Polster gelehnt, welche sein Lager bedecken. Seine Linke hält
einen langen Kornstengel, wie er auf ähnlichen Bildern den Thyrsus nicht selten ersetzt (2);
schmückende Tänien fallen davon herab oder sind lose daran geknüpft Seine Rechte
streckt den Kantharos aus, den ein hinzutretender Satyr, des Gottes Liebling (3), vermit-
telst seines Schöpfkruges aus einem grösseren Eimer zu füllen bereit ist. Noch ein Becken
mit geschmückten Henkeln steht unter dem Sitz des Gottes; die ganze Gruppe aber des
Dionysos wie seines Lieblings wird von einem Weinstock überragt, dessen reichlich ge-
füllte Zweige dem Gott eine Laube bilden (4).

Mit dieser Hauptgruppe des bacchischen Bildes in unserm ersten Gefäss (I) verknü-
pfen wir sofort die an entsprechender Stelle befindliche Hauptgruppe des zweiten (III).
Auch hier thront in ähnlicher Weise, nur ohne Andeutung des Sitzes, ein jugendlicher mit
Diadem und Kornstengel versehener Dionysos (5), dem überdies eine mystische Cista zur
Seite steht; sein Lieblingssatyr steht dem Gotte auch hier gegenüber, nur dass er, statt ihm
zu spenden, den Ausdruck bacchischer Fröhlichkeit durch hoch zusammengeschlagene Hände
gleichsam zum Klatschen ausdrückt (6): dieses zu lärmender Begleitung von Trommel- und
Flötenmusik zwei benachbarter Bacchantinnen. Endlich findet der Gott auch hier, wie im
ersten Bild, von einem Rebzweig sich überragt, der ihm zur Laube wird; doch mit dem
Unterschied, dass wir das eine Ende des Zweigs von ihm selbst, das andre von einer Frau
gehalten erblicken, die, ohne grösseren Schmuck als er andern Figuren des Bildes zuge-
theilt ist, doch wahrscheinlich für Ariadne gehalten werden darf. Ausser dem Rebzweig,
den sie mit Dionysos zugleich gefasst hält, spricht dafür ihre Gruppirung mit einem er-
wachsenen Flügeljüngling, dem auf ähnlichen Bildern mit grosser Freiheit dargestellten Eros
oder Genius der Mysterien. Während dieser mit Fruchtkorb und Eimer sich naht, blickt
sie einen Kranz haltend nach ihm sich um und gibt sich auch dadurch als bacchische Braut
zu erkennen. Hiedurch wird denn als Gegenstand dieses Bildes, in keineswegs augenfälli-
ger Darstellung, die Vermählung beider Gottheiten angedeutet und es bleibt nicht un-
wahrscheinlich, dass auch im zuerst beschriebenen Bilde die neben Dionysos stehende,
eine Fruchtplatte und gehenkelte Schale haltende, Frau für die Vermählte des Gottes, für
Ariadne, zu halten sei.

(!) Kandelaberförmige Amphoren, in Levezow's Ver-
zeichniss und von mir in „Berlins antiken Bildwerken" unter
no. 1000 und 100S beschrieben. Bei grosser sonstiger Ueber-
einstimmung ist die Höhe beider etwas verschieden: das Gefäss
Taf. I. II. ist 3 F. 3 Z. hoch, das Gefäss Taf. III. IV. 3 F.
9 Zoll; beide bei 1 Fuss Durchmesser.

(s) Auf unsern Vasen von Cälia durchgängig. Vergl. In-
ghirami Vasi tav. 171- ISO. 323. 391. 395. Andre unteritali-
sche Vasen wechseln in der Gestalt des Thyrsus, der ursprüng-
lich als Reh- oder Efeustamm zu denken ist (Auserl. Vas. I.
S. 122) und dessen Knauf demnach oft aus Efeublättern gebil-

det erscheint (Inghirami Vasi fittili tav. 292; cf. 144. 149).

Zur Bekleidung mit einem Pinienapfel gab theils die Anwen-
dung von Fichtenstämmen (Eurip. Bacch. 307), theils und beson-
ders die jetzt noch übliche Mischung des Weins mit Harz einen
Anlass, der jedoch erst durch die steigende Verbindung bacchi-
schen und phrygischen Dienstes zum herrschenden Bacchussymbol
alexandrinischer und römischer Bildwerke beitrug; in unsern Va-
sengemälden zeugt davon das schöne Vermählung.sbild Taf. XV.

(3) Aehnlich die Gruppe des mit Saitenspiel gelagerten
Dionysos auf der Archemorosvase. Den Satyr, den man gern
Ampelos nennt, benennen wir nicht, so wenig als es in der

Von Nebenfiguren beider dionysischer Darstellungen machen im ersten der beiden
Bilder besonders ein fackeltragender Satyr mit über den Arm geworfenen Fell und reich
umwundnem Kornstengel, im zweiten Bild aber ein Silen sich bemerklich, der als ge-
schmückter Tänzer nicht nur ein flatterndes Fell um den Hals, sondern auch eine lange
Tänia um den Arm geknüpft zeigt. Die übrigen drei Figuren dieses zweiten Bildes, zwei
Satyrn und eine Bacchantin, treten nicht aus dem Gewöhnlichen heraus, und ebensowenig
rufen die drei mit einem Satyr und zwei Silenen paarweise gruppirten Bacchantinnen,
deren wir im ersten Bilde noch nicht gedachten, ausser der Mannigfaltigkeit kunstgerech-
ter Bewegungen das Bedürfniss besondrer Erklärung hervor.

In unmittelbarer Beziehung zum Bilderkreis bacchischer Mysterien, der in jenen obe-
ren Reihen sich darlegt, wie zum hochzeitlichen Anlass, der mit Weihungen verknüpft jene
bacchischen Bildnereien grossentheils hervorrief, stehn die aus dem üppigsten Blumen- und
Blätterschmuck entnommenen, von mehr denn Einem gefeierten Antlitz überragten, Verzie-
rungsbilder an Hals und Mündung beider Gefässe.

Jene hochzeitliche Bestimmung,

die

allerorts an den prächtigsten apulischen Vasen sich kund gibt, geht am augenfälligsten her-
vor aus der geschmückten Gestalt eines Flügelknaben, welcher mit Kranz und Binde in
beiden Händen versehn auf der Höhe eines Blumenkelches das Festgelage Dionysos'
und Ariadne's überragt. Zwei Frauenköpfe, die auf der Hauptseite des einen (I) und auf
der Kehrseite des andern Gefässes (IV) aus Blumenkelchen ans Licht des Tages sich drän-
gen, betrachten wir nach unsrer schon in der Einleitung erörterten Ansicht als eine, auf
Eingeweihte leicht überzutragende, Andeutung der Dionysosgemahlin Ariadne oder Kora,
die als oberste Weihungsgöttin grossgriechischer Mysterien und Gefässmalereien an jenem
schmückenden Platz mit Fug und Recht oft wiederholt werden durfte. Den Ausdruck
einer Göttin in ähnlichen Köpfen finden zu wollen ist oft vergebens; aber so schmuck-
los und skizzenhaft auch zum Beispiel das Frauenantlitz unserer ersten Tafel sein mag, so
genügt doch gerade hier schon die Vergleichung entsprechender Nebenbilder, um unsre
Deulung auf eine Mysteriengöttin zu bestätigen. Auf der Kehrseite nämlich entspriesst
einem ähnlichen Blumenkelch ein Jünglingskopf mit einem Widderhorn, vermuthlich in sel-
tener Darstellung (7) ein Bild des, wie Kora die Frühlingsgöttin, auf blumigen Wiesen er-
scheinenden Dionysos-lacchos (8). Hienach wird denn wol auch die arabeskenartig be-
handelte weibliche Flügelgestalt, die mit dem Fruchtmass der Erdgottheiten bedeckt auf
der äussersten Höhe des vorderen Bilds angebracht ist, als Ordnerin religiöser Weihe, als
Telete, Hosia oder Mystis (9), zu deuten sein.

Haben wir nun im oberen Theil dieser beiden Gefässe die Festdarstellungen verfolgt,
die aus dem religiösen Standpunkt grossgriechischer Kulte, namentlich ihres Bacchusdien-
stes, z-ur Ausschmückung festlicher Hochzeitgeschenke sich ergaben, so bleibt es uns übrig
im noch unerörterten unteren Theil beider Kunstwerke die Anlässe persönlicher Zueignung
vorzufinden, die im Anblick berühmter Vorbilder aus der Heroenzeit für beide Geschlechter
sich ergaben. Einen Lieblingsanlass dieser Art, der als Vorbild weiblicher Kraft und Sprö-
digkeit auf ähnlichen Vasen sich oft wiederholt und im zweiten dieser Gefässe (III. IV)

athenischen Marmorgruppe geschah, die Pausanias I, 20, 1. er-
wähnt: Jwvvaip ZÜTVgog nötig didmciv sxnwfia. Vgl. Prodro-
me S. 239, 14. Auserl. Vasenh. I. Taf..57, 3. 4.

(<) Die Laube des Dionysos ist vorzüglich bezeichnend;
zeltähnlich bildete sie den Mittelpunkt seines alexandrinischen
Festzugs (Athen. V, 25) und ist auch in römischen Reliefs oft ange-
deutet: im Sarkophag Casali (Miliin Gall. LXIV, 242) und sonst.

(5) Als „Libera oder Ariadne" irrig bei Levezow (Ver-
zeichniss S. 250.).

(fi) Pausan. X, 31.: xqotsT de raTc %sq<Siv, olog ccv y&voixo
ärdgog äyQoixov xqötoq.

(7) Dass Widderhörner nicht nur dem Zeus Amnion,
sondern auch dem ihm gleichgesetzten Dionysos zustehen, er-
gibt sich hauptsächlich aus Terracotten, welche wie das vor-
liegende Bild im Verzierungsstyle gehalten sind. Vgl. Braun
geflüg. Dionysos S. 5. Campana Opere in plastica pl. XXVII.
Auch Doppelhermen, in denen Ammon mit bacchischen Wesen
verbunden ist, sprechen dafür.

(s) Aristoph. Ran. 325.: "fccxxe, &&* ^övd' dpa XsifuSva

%0Q£VGWV.

(9) Gleichgeltende Namen: Auserl. Vasenb. II. S. lf.
 
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