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Gerhard, Eduard [Hrsg.]
Apulische Vasenbilder des Königlichen Museums zu Berlin — Berlin, 1845

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https://doi.org/10.11588/diglit.3830#0002
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II

E I I L B I T U I «.

Die apulisclien Tliongefässe des Königlichen Museums, deren Abbildung, in Grösse und
Färbung den Originalen entsprechend, als Fortsetzung meiner etruskischen und kampanischen
Auswahl derselben Sammlung (J) hier erfolgt, sind prachtvolle Denkmäler jenes reichsten
Kunstgeschmacks griechischer Vasenmalerei (2), der in den Zeiten nach Alexander und
Pyrrhus in Grossgriechenland sich ergiebig hervorthat und erst durch römische Hemmung
des aufs engste damit verbundenen Mysterienwesens (3) im sechsten Jahrhunderte Roms
sein Ende gefunden haben mag. Das Senatusconsult über die Bacchanale fällt in das Jahr
568 der Stadt (*), die Friedenszeit, die nach Königs Pyrrhus Erscheinung in Unteritalien
eintrat, kaum ein Jahrhundert früher (5). In eben dieses Jahrhundert fallen, schon aus styli-
stischen Gründen, alle Gefässmalereien apulischer und lukanischer Gräberfunde (6): von den
apulischen hauptsächlich diejenigen, die aus Canosa und Ruvo zu grossem Rufe gelangt
sind(7) und die einer gleichen Berühmtheit würdigen Vasen von Cälia, die uns vor Augen
liegen. Wir meinen einen nordwestlich von Bari gelegenen Ort, der seinen alten Namen
noch heute trägt; die Lage von Celia oder Cälia (8) zwischen Butontum und Azetium hat
Strabo, ihre Einnahme durch die Römer im dritten samnitischen Krieg (312 v. Chr., 442
Roms) Diodor uns berichtet. Samniter und andre barbarische Stämme Italiens mochten
an ihrer Bevölkerung Antheil haben, wie denn auch die Vasen, ihrer griechischen Kunst
ungeachtet, uns davon Zeugniss geben (9); dass aber im fünften und sechsten Jahrhunderte
Roms auch Hellenen und zwar in entschiedenem Uebergewichte dort wohnten, geht theils
aus Münzen hervor, deren Typen den nahen Verkehr mit Tarent bekunden (10), theils aus
den Vasenentdeckungen, die sich im schmalen Küstenstrich daunischer und peuketischer
Nachbarstädte (n) in Uebermass finden. Wesentlich für deren Beurtheilung ist ein zwie-
facher Grundsatz, der sich für Zeit und Abstammung apulischer Vasen aus dem Gesammt-
eindruck ihres zahlreichen Vorraths uns aufdrängt: erstens dass sie nach Massgabe ihres
Styls nicht jenseits der Zeiten des Alexander (Ol. 114) und selbst des Pyrrhus (Ol. 125)
gesetzt werden können; sodann aber auch, dass ihre mehr attische (12) als dorische Kunst
nicht von Tarent und Lukanien(13), sondern, wenn nicht unmittelbar von Athen, von den
achäischen Kolonieen Grossgriechenlands ausging, deren Einfluss auf die iapygische Küste
von früherer £eit her bezeugt ist(u).

Es ist nur eine massige Anzahl von Vasen, die wir hier zusammenstellen; doch sind
es, neben zwei stattlichen Hydrien (XIII. XIV), lauter Amphoren erster Grösse, deren ge-
räumige Oberfläche durchgängig benutzt ist, Bildergallerien fast mehr als einzelne Bilder
darauf glänzen zu lassen. Vier oder fünf Paare von Gefässen geben darunter als ursprüng-

(i) „Etruskische und kampanische Vasenbilder des Kö-
nigl. Museums zu Berlin", im Jahr 1843 in gleichem Verlag
erschienen. Die „Griechischen und etruskischen Trinkschalen"
gingen im Jahr 1840 voran.

(2) Für diese letzte Periode griechischer Gefässmalerei sind
besonders Böttiger (Archäol. d. Malerei S. 209 ff.) und Miliin
(Tombeaux de Canose. Paris 1816. Fol.) mit anregendem Stoff
vorangegangen; die kunstgeschichtlichen Unterscheidungen sind
im Bullettino dell' Inst. 1829, p. 169 ff., im Rapporto volcente
p. 101. 112, vom Duc de Luynes in den Annali d. Inst. IV,
p. 147, in Berlins Bildwerken I, S. 157, zuletzt und am über-
sichtlichsten von Kramer (Ueber Styl und Herkunft der griech.
Thongefässe S. 129 ff.) gegeben.

(3) Diese auf unteritalischen Vasen einigen Umfangs kaum
irgendwo fehlende Mysterienbeziehung ist seit Böttiger Archäol.
d. Malerei S. 173 ö'. Vasengemälde S. 26- 154 mit Recht an-
erkannt; Kramer (griech. Thongef. S. 138 ff.), der ihn allzu
skeptisch beschränkt hat, wird ihn nicht leugnen wollen.

(*) Liv. XXXIX, 8-19. Kramer S. 44. 138 ff. Vgl.
Gerhard Etrusk. Spiegel I, S. 41 ff. 70.

(5) Des Pyrrhus Abzug aus Italien a. u. 482 (Ol. 125, 2).

(6) Hienach ist die in „Berlins Bildwerken" S. 144 ge-
gebene Darstellung so zu verstehen, dass die kampanischen Va-
sen reinen Styls, die ich etwa mit Ol. 120 begrenze, nur in

ihren späteren Auswüchsen, namentlich in der Fabrik von S.
Agata de' Goti (Plistia), mit den ähnlichen unteritalischen Fa-
brikaten sich berühren.

(7) Canosa durch Millin's Tombeaux de Canose (1816;
die Entdeckung vom Jahr 1813), Ruvo durch glänzende neuere
Funde (Bull. d. Inst. 1840, p. 187 ff).

(8) Kslla mag, wie bei Strabo VI, 3 und Diodor XIX,
101, auch bei Stephanus Byz. gestanden haben, wo die unter
Km- vermisste Erwähnung durch die in Ks- vorhandene Lücke
verloren gegangen sein mag; Kai- aber und Keuhvoov geben
die Münzen. Vgl. Millingen Consider. numism. p. 149. Unbe-
zeugt ist die neutrale Form Caelium, die in sonstigen Münz-
büchern (auch bei Eckhel D. N. I, 141) steht.

(9) Samniter und Hellenen im Gegensatz: Taf. I. II.

(10) Pallaskopf )( KAI. Herakles den Löwen erdrosselnd.
JR. 1. Obol. Die andre bis jetzt bekannte Münze dieser Stadt hat
ebenfalls einen Pallaskopf, mit einem Tropäon und einer Palme,
nebst Umschrift KAIMNÜN auf dem Revers (Millingen 1. c).

(") Barium, Butontum, Azetium (Rutigliano: Millingen
Consider. p. 148), Gnathia (Egnatia, Fasano bei Monopoli:
TNAQINON Bull. d. Inst. 1845, p. 44 ff.) und die schon oben
(Anm. 7) genannten Städte Rubi und Canusium geben die
Hauptfunde jenes Landstrichs an. Vgl. Berlins Bildw. S. 139.

(12) Athen hat nicht wenig Vasen geliefert, die in Form,

lieh einander entsprechende Gegenstücke sich zu erkennen; eine Verbindung, wie sie auch
für Gefässe anderer Style und Gegenden hinlänglich bezeugt (15), in solchem Umfang aber
wie hier unsres Wissens aus keinem anderen Vasenfund bis jetzt zum Vorschein gekom-
men ist. Aufgestellt zum Schmucke der Todten, in deren Nähe sie wiedergefunden wur-
den, zeigen unsre Vasenbilder hie und da Bilder des Grabmals und der daneben verrich-
teten Todtenopfer (V. XII. XVI. B, 8—10); häufiger religiöse Gebräuche der Einweihun-
gen, durch welche die unteritalischen Griechen, prunkender als die Hellenen des Mutter-
landes, zu Ehren der Unterweltsgottheiten, des Dionysos-Pluto und seiner Gemahlin Kora,
einen hauptsächlich auf diesen Vasen anschaulichen Todtendienst übten (16). Diesen Wei-
hungen der Erdgottheiten war, wie in Griechenlands Thesmophorien(17), die Heiligung
des Ehebunds eng verknüpft; daher denn Mysteriensitte und Hochzeitsgebräuche im Bilder-
schmuck dieser Gefässe einander häufig begegnen und den erotisch-heroischen Inhalt recht-
fertigen, der neben Mysterienwesen und Gräbersitte, selbst ohne Einmischung gymnastischer
Darstellungen (18), den Inhalt dieser Gefässmalereien fast ausschliesslich bildet.

Diese Bezeichnung des bildlichen Inhalts unsrer Vasen zu beglaubigen, reicht ein flüch-
tiger Ueberblick ihrer Abbildungen hin. Vorherrschend ist eine Reihe mythologischer Dar-
stellungen, in welcher theils Frauenreiz und siegreiche Schönheit, theils männliche Kraft
und Heldengrösse sich geltend machen. Jener gefälligste Inhalt dieser Vasen ist mit ver-
schwenderischem Aufwand einer durchgängigen Verzierung, auch der Nebenfelder, durch
die verschiedensten Liebessagen des griechischen Heroenlebens, beneidenswerthe sowohl
als fluchwürdige, durch Aegina's (VI) sowohl als Europas (VH) Entführung, durch Hera-
kles' Rettung der schönen Hesione (XI), durch dessen Vermählung erst mit Omphale (XIV),
dann mit Hebe (XV), am häufigsten durch das Schönheitsurtheil des Paris (XL XH. XHI),
aber auch durch Aktäon's Frevel an Artemis und durch des Lajos Gewaltthat am schönen
Chrysippos (VI), zum mannigfaltigsten Zeugniss geworden für die nicht genug zu erhe-
bende Macht des Eros und aller von ihm entzündeten Leidenschaft. Kämpfe und Siege
berühmter Helden, des Herakles (XI), Theseus (V), Bellerophon (IX), Meleagros (VIII)
und Anderer, reihen mit jenen erotischen Darstellungen mehr oder weniger eng sich zu-
sammen; Sagen, wie die vorzüglich gefeierte, durch Herakles, Theseus, Achilles zuletzt
doch bewältigte, furchtbare Schönheit der Amazonen (III—V) sie darbot, treten hinzu und
vereinigen sich zum Gesammtausdruck männlicher Kraft und weiblicher Schönheit, wie
auch der Ehebund das wehrhafte Geschlecht mit dem schönen verknüpft.

Zusammengesetzt aus diesen vorherrschenden Elementen, denen die Andeutung reli-

Styl und Anordnung der Verkünstelung unteritalischer Gefässe
bereits entsprechen; nächstes Beispiel ist die überschlanke, mit
Adonisbildern und sonstigen Liebesscenen reich geschmückte,
der Königl. Sammlung no. 804. Nach Athen weisen auch die
beliebtesten Gegenstände apulischer Vasen, z. B. die Amazonen-
kämpfe, die fast durchgängig attische sind.

(13) Allerdings denkt man zunächst an Tarent, zumal auch
die Münzen apulischer Städte dahin weisen, und an andre gross-
gnechische Städte, deren Verkehr durch das vasenreiche Luka-
nien (Armentum, Anxia u. s. w. Bull. d. Inst. 1829, p. 169 ff.)
leicht vermittelt ward; was aber von Gefässen dieser letzteren
Gegenden übrig ist, bildet bei seinem untergeordneten Kunst-
werth gerade den stärksten Beweis, dass die ungleich vorzüg-
lichere Gefässmalerei Apuliens nicht von dorther stammt.

( ) Achäische Bevölkerung war hauptsächlich von Syba-
ris her auf der unteritalischen Küste verbreitet: Sybaris heissen
Städte ohnweit Brundusium (Paus..VI, 19, 9: Lupiä) und am
Traeis in Chonien (Strab. VI, 263), und die achäische Athene
des Diomedes zu Salapia (Aristot. Mirab. 109) weist auf den
trözenischen Diomedesdienst zurück, der auch in Thurion galt.
Vgl. Klausen Aeneas S. 1192 ff.

(15) Braun Bull. d. Inst. 1843, p. 180 fl. Im Königl. Mu-
seum sind unter andern hieher gehörig: die zwei Hydrien mit
Kadmos und Paris (no. 1748. 1749. Etrusk, u. Kamp. Vas.

Taf. C. Unten Taf. C), die zwei archaischen Amphoren mit
Kriegsdämonen (no. 1712. 1713. Mon. d. Inst. III, 24), und
zwei Schalen des Tleson, auf welche ein zusammengehöriges
Paar von Thieren, Hahn und Henne, vertheilt ist (no. 1741.
1742).

(16) „Voll Hypothesen", aber auch voll Thatsachen, die
seitdem reichlich vermehrt sind, ist Böttiger's Excurs über die
italisch - griechische Bacchanalienfeier (Archäol. d. Malerei S.
173 f.). Vgl. meine Antiken Bildwerke S. 375 ff. (zur Samm-
lung „Griechischer Mysterienbilder").

(17) Die Thesmophorien, ein nur von Frauen gefeiertes
Ehefest, beruhen auf der gemeinsamen Idee von Herbstsaat und
Ehesatzung: Creuzer Symbolik IV, S. 450. Ueber Thesmo-
phoriensitte in den Mysteriengebräuchen der Vasenbilder vgl.
meinen Prodromus S. 51. 76.

(is) An die Sitte von Preisgefässen werden wir bei Be-
schauung unteritalischer Vasen kaum irgendwo erinnert; aber
auch gymnastische Darstellungen kommen nur spärlich, am mei-
sten noch andeutungsweise, nämlich in den bekannten Mantel-
figuren (Böttiger Vasengemälde II, S. 37 ff. Gerhard Rapp.
volc. p. 52), als untergeordnetes Gegenbild kraterförmiger Ge-
fässe von mittlerer Grösse vor.
 
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