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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0007
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I.
Man hat sich bisher wenig um die geographische
Verteilung der Kunst auf der Erdoberfläche ge-
kümmert. Jeder große Atlas enthält kartenmäßige Über-
sichten über die Sprachen und über die Religionen der
Völker, aber die dritte so bedeutsame Schicht des
menschlichen Geistes, die bildende Kunst, wird man
vergeblich suchen. Und doch wird jedermann ohne
weiteres zugeben, daß die kunstgeographischen Grenzen
nicht mit den politischen Grenzen gleichlaufen. Denn
diese sind das Ergebnis der Wechselfälle einer viel-
hundertjährigen Geschichte. Die Beherrschung der ein-
zelnen Gebiete verschiebt sich, aber kein Grenzpfahl
kann den Austausch der Kunstformen verhindern, und
Kunstzusammenhänge bleiben in ungreifbarem Medium
verbunden. Innerhalb der Formenwelt der Kunst haben
sich andere Gemeinschaften gebildet, und diese Zu-
sammenhänge haben sich zäher gehalten in den kunst-
geographisch einheitlichen Gebieten, als nach ihrer
politischen Geschichte angenommen werden dürfte. So
soll denn auch zunächst nicht von einer kunstgeschicht-
lichen Erdkartenübersicht die Rede sein, die nach Art
eines historischen Atlanten das von Jahrhundert zu
Jahrhundert verschobene Bild des Kunstbestandes ent-
rollt, sondern von einer Übersicht, die das Gewachsen-
sein der Kunst und das Vorkommen von Formzusammen-
hängen, die die politischen Grenzen übergreifen, klar-
stellt. Von dem Nacheinander der Stile muß man dabei
zunächst absehen und die Kunst als einen gegebenen
Tatbestand nehmen. Wollte man diesen wirklich auf
einer Karte niederlegen, so müßte diese etwa mit der
Freiheit gezeichnet werden, die ein Architekt anwendet,
wenn er zu einem Grundriß die Horizontalschnitte in ver-
schiedener Höhe des Gebäudes nimmt und diese dann in
eine Horizontalprojektion zusammenzieht. Es wird da-
mit das Nebeneinander aller Kunst in den Vordergrund

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