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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0017
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und in deutlicher Klarheit steht die Tatsache, daß die
Kunst eines Volkes zu den Geschicken gehört, die dem
Heimatboden entsteigen. Auch die Kunstgeschichte
jedes Volkes erklärt sich aus der geographischen Lage
seines Gebietes. Wie kämen die Niederlande zu einer
solchen kunstgeschichtlichen Bedeutung, wenn sie nicht
durch ihre geographische Lage dazu berufen gewesen
wären, einen Ausgleich zwischen germanischen und ro-
manischen Elementen herbeizuführen ? In Politik und
Kriegsgeschichte erzeugte diese Reibung nördlicher und
südlicher Elemente Entladungen durch Kämpfe, in der
Kunst aber entstanden in dieser ständigen Berührung
und Vermischung Hochkulturen. So kommt es zwei-
mal in den Niederlanden zu weltgeschichtlich bedeut-
samen Vorgängen in der Kunst, zuerst, als zu Beginn
des 15. Jahrhunderts die kontinuierliche Entwicklung
der Trecento-Malerei mit dem nordischen Geist zusam-
mentraf und zu einer neuen Kunst umgebildet wurde,
die erlebnisnäher gestalten konnte, dann noch einmal
zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als hier wieder eine
Verschmelzung von südlichem und nordischem Geist
eintrat, die in der Großtat des Rubens am prächtigsten
verkörpert ist.
Das künstlerische Geschick der lombardischen Tief-
ebene würde in mancher Beziehung dem der Nieder-
lande ähnlich sein, wenn sie nicht eingekeilt zwischen
den Gebirgszügen der Alpen und Apenninen läge. Zwar
trafen germanische und romanische Elemente hier eben-
so unmittelbar zusammen, aber die Stoßkraft beider
Kulturen scheint geschwächt und kommt nicht zu Re-
sultaten von großer, befreiender Wirkung. Ein kleines
Wesen treibt in dem Stil der lombardischen Ebene
sein Spiel. Einzig Venedigs Kunst hat den großen,
tiefen Atem gehabt. Seine Lage am Meer, der immer
neue Anhauch aus dem Orient haben seine Kunstblüte
hervorgebracht.

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