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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0022
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bewegten Linie in ihrer ruhelosen Verwandlung bricht im
Zickzack und in bizarrer Brechung immer wieder durch.
Kann es verwundern, wenn die englische Gotik sofort
zu den bewegten Deckenwölbungen übergeht ? Schon
im 13. Jahrhundert ist das Inselreich das Land der
Stern- und Netzgewölbe. Die Zähigkeit, mit der in
England bis in die Neuzeit hinein eine Art Gotik bei
vornehmen Landsitzen immer wieder Anwendung findet,
beweist, wie sehr dieser Baustil, der weder die Aktivität
noch den reinen Vertikalismus der französischen Gotik
je besaß, sondern eine Neigung zum Horizontalismus
hat und immer wieder die Längsertreckung betont, der
Sehweise entspricht. Immer wieder auch sind die Flächen
von lebhaftem Linienspiel erfüllt, und die gehäufte, viel-
fältige Unterteilung der großen Fensterrechtecke bleibt
charakteristisch. Im Fachwerkbau des 16. und 17. Jahr-
hunderts hat die englische Baukunst die Neigung, im
Erdgeschoß, manchmal auch in allen Geschossen, die
senkrechten Ständer so eng zu stellen, daß es ein Linien-
geriesel scheint, und darüber die gebogenen Hölzer zu
einfacher geometrischer Ornamentik zusammenzufügen.
Das klassische Beispiel dafür ist Bramhall Hall, Che-
shire1. Noch einmal bricht dann unmittelbar der Geist
der normannischen Ornamentik mit ihren eckig ge-
brochenen Parallellinien durch bei den Schornsteinauf-
sätzen des Tudorstils (Abb. 2 b).
2. Deutlich zu umreißen ist die nächste optische
Zone. Sie umfaßt Flandern und Holland, läuft an der
norddeutschen Küste in breitemStreifen entlang, schließt
Dänemark ein und umfaßt die baltischen Provinzen von
Mecklenburg bis Esthland. Das hat mit politischer Ge-
1 Siehe J. Alfred Gotch, the Growth of the English House. 1909. Abb. 120,
S. 170. — Typische Beispiele auch in Chiddingstone, Cent und Mayfidd, Sussex.
Vgl. F. Dollman and J. Jobbins, Ancient domestic architektuie. London 1861,
Taf. I, 2, 37. Ebenso in Park Hall near Oswestry. A. Gotch, Architecture of the
Renaissance in England. PI. 9. London 1894.

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