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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0049
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32

31-
Paluftre's
Theorie.

32.
Widerlegung
derfelben.

feiner Theilnahme am Entwurf eines Gebäudes ohne Weiteres auszufchliefsen, fobald
letzteres einige franzöfifche Anordnungen aufweist.
Vom gerechten Wunfche ausgehend, den nationalen Meiftern der franzöfifchen
Renaiffance den ihnen gebührenden Antheil im richtigen Verhältnifs darzuftellen,
hat fich Paluftre, als theilweife natürliche Reaction gegen einige eingefleifchte ab-
furde Ueberlieferungen, hinreifsen laffen, das Ausfeheiden des italienifchen Antheiles
aus der franzöfifchen Renaiffance zu einem Syftem auszubilden. Seine Theorien,
das Wohlgefallen, mit welchem fie vielfach aufgenommen wurden, haben uns ver-
anlafft, mehr Gewicht, als wir vielleicht fonft gethan hätten, auf diefe Frage zu
legen und das Verhältnifs vom Nationalen zum Italienifchen in ein möglichft rich-
tiges Licht zu fetzen.
Paluftre hat irgend wo den Gedanken ausgefprochen, dafs, wenn man italienifche
Architekten nach Frankreich kommen liefs, dies doch nur den Zweck haben konnte,
dafs fie dort Bauwerke auszuführen hatten, welche denjenigen gleichen füllten, die
in ihrer Heimath Italien vorhanden waren. Da nun folche Bauwerke, ftreng ge-
nommen, in Frankreich fehr feiten vorkommen, fo bleiben Paluftre und die moderne
Schule unter dem Eindrücke, dafs ein unmittelbarer italienifcher Einflufs in fehr
feltenen Fällen flattgefunden habe und auch dort auszufchliefsen fei, wo er dennoch
vorhanden war. Wenn daher Paluftre den Ausfpruch thut, es können Gebäude,
welche einen namhaften Theil von franzöfifchen Anordnungen und gothifchen Einzel-
heiten aufweifen, nicht aus den Entwürfen oder unter der Theilnahme italienifcher
Meifter entftanden fein, fo ift man zwar im erften Augenblick geneigt, diefe Anficht
für unanfechtbar zu halten. Betrachtet man fie indefs näher, fo (teilt fich ihre
gänzliche Unhaltbarkeit nicht minder klar heraus.
Als glänzende Widerlegung der Theorie Paluftre s und Anderer verweilen
wir auf die zahlreichen Skizzen Leonardo da Vinci's für fein Modell zu einer
Vierungskuppel für den Mailänder Dom * * 4 S. 9), die fämmtlich Compromiffe antiker und
gothifcher Formen find, wie diejenigen, welche die Stile Ludwig XII. und Franz I.
bilden. Wir lenken ferner die Aufmerkfamkeit auf das Gutachten Bramante s über
die Modelle zu jener Bekrönung der Vierung des Mailänder Doms50), worin er
nicht nur einen gothifirenden Bau als felbftverftändlich anfieht, fondern fich mit
einigen Principien der gothifchen Raumcompofition vertrauter zeigt, als mancher
neuere Gothiker. Wir verweilen weiters auf Bramante s Fenfter an einem Theile
des Ofpedale grande zu Mailand.
Ferner können auch noch als Beweife für die Unrichtigkeit der Annahme
Paluftre s und Anderer, dahin gehend, dafs nur da von einem italienifchen Ein-
greifen die Rede fein könne, wo das in Frankreich entftandene Bauwerk denjenigen
ähnlich fei, die man in Italien errichtet fehe, die Thätigkeit von Andrea Sanfovmo
in Portugal und der Entwurf von Leonardo da Vinci dienen, welche beide zeigen,
in welchem Grade die Italiener ihre Vorfchläge nach dem Gefchmacke der Bau-
herren abzuändern verftanden. Nachdem Vafari von verfchiedenen Ausführungen
auf dem Gebiete der Architektur und der Sculptur des Andrea Sanfovino in Portugal
erzählt hat, fährt er fort: »Andrea, während er mit jenem Könige war, beflifs fich
auch mit einigen extravaganten und fchwierigen Architekturwerken nach dem Ge-
ro) Abgebildet in: Geymüller, H. v. Leonardo da Vinci as architect. In: Richter's Literary works of Leonardo
da Vinci. London 1883.
50) Abgedruckt in: Geymüller, H. v. Die urfprünglichen Entwürfe für Sanct Peter in Rom etc. Paris und Wien 1875.
S. 1x6 u. ff.
 
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