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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0048
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3i

niffe der Weltgefchichte, gegen eine feft flehende gefchichtliche Thatfache, fondern
auch gegen das Gefetz der regelmäfsigen Abwechfelung entgegengefetzter Principien,
welches, wie das Ein- und Ausathmen, allem organifchen, geiftigen und religiofen
Leben zu Grunde liegt.
Auf Grund der vorftehenden Erörterungen erfcheint es ziemlich leicht — zum
mindeften auf dem Gebiete der franzöfifchen Renaiffance-Architektur — das heimifch-
nationale und das italienifch-antike Element zu unterfcheiden. Der nationale Antheil
an der Bau weife der Renaiffance ift das Gothifche in Geift und Form; es war fchon
vorhanden; es ift das Alte, welches weiter lebt; es ift die Mutter. Das Neue
ift dasjenige, was noch nicht da war, das Italienifche, das Fremde; dies ift der
Vater 1
Das Gothifche war die er fie wahre nordifche Kunft; das Neue war die
Antike, die zum zweiten Male auf die Bühne der Weltgefchichte trat. Sie war
die Wiedergeborene; an ihr haftet — bis auf Weiteres — die Bezeichnung »Re-
naiffance«.
Die Völker begehen häufig den Irrthum, zu glauben, fie feien nur um ihrer
felbft willen vorhanden und um das nationale Element bei fich zu entwickeln. Man
kann aber in letzterer Hinficht leicht zu weit gehen. Es hat wohl jede Nation die
Miffion, dann und wann auf andere Nationen einzuwirken; allein nach einem höheren
Weltgefetze hat fie auch ab und zu durch fremden Einflufs eine Wiederbelebung
und neue Entwickelung der eigenen Elemente zu erfahren, und zwar auf friedlichem
Wege oder, wenn diefer nicht angenommen wird, auf gewaltfamem, ja felbft auf
demjenigen der Eroberung.
Nicht mit den Waffen in der Hand, wie einft Cäfar, fondern von den Franzofen
felbft eingeladen, kommt nunmehr die italienifche Renaiffance nach Frankreich und
verbindet fich meiftens — zum wenigften im Anfang — mit der Spät-Gothik zu
einem friedlichen Compromifs.

c) Compromifs.
Ihrem Urfprung nach war feit 1500 die Architektur in Frankreich eine franco-
italienifche und eine italienifch-franzöfifche Kunft; fie ift ein Bündnifs italienifcher
und franzöfifcher Elemente48). Die verfchiedenen Entwickelungsperioden und -Phafen
diefes Compromifsftils haben eine Reihe von Bauftilen hervorgebracht, welche
meiftens nach den betreffenden Königen benannt werden, wie z. B.: Style Franyois I.,
Style Henri II. etc. Sie entfpringen im Wefentlichen aus zwei Hauptquellen:
1) aus dem verfchiedenen Verhältnifs der Mifchung und aus der Eigenart der
italienifchen und der franzöfifchen Mifchungselemente, und
2) aus der organifchen Entwickelung des nationalen Geiftes in Italien und
Frankreich, aus dem das äfthetifche Gefühl und das Temperament hervorgeht und
welcher diefe Elemente jeweilig in Frankreich verarbeitet.
Der in Rede flehende Compromifs zwifchen italienifchen und franzöfifchen
Anordnungen liegt durchaus in der Natur der Dinge. Er liefert einen handgreif-
lichen Beweis mehr gegen eine Anfchauungsweife, welche in neuerer Zeit in Frank-
reich sehr beliebt ist und darin befteht, den unmittelbaren Einflufs eines Italieners
iS) Henri Martin fagt in feiner Hiftoire de France (4. Ausg. Paris 1855—60) ganz richtig: »Le Louvre acheve Jur
le filan de Fierre Lescot eilt eie le chef-d'Oeuvre de Vecole franco-italienne'1 — und an einer anderen Stelle: »Katharina,
der man vorwarf, Frankreich an ihre italienifchen Minister preiszugeben, liefs hingegen italienifche Denkmäler von franzöfifchen
Künftlern ausfuhren.«

29.
Das
Gothifche
als
nationaler
Antheil.

3°-
Elemente
des
CompromifTes.
 
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