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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0076
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Es will mehr und mehr fcheinen. dafs diejenige Zeit, in welcher die franzöfifchen
Schriftfteller im Feldzug Carl VIII. ein für die Künfte ihres Vaterlandes epoche-
machendes Ereignifs erblickten, durchaus im Recht war und dafs die moderne Kritik
dies augenblicklich zu fehr vergifst. Jener Feldzug war der greifbare Ausgangs-
punkt der gänzlichen Umwandelung in der Richtung der franzöfifchen Kunft und
Cultur. Frankreich gab die gallo-germanifche Kunft, an deren Spitze es feit
350 Jahren geftanden,-auf und ging zur gallo-lateinifchen Cultur zurück.
Noch eines Umftandes fei an diefer Stelle Erwähnung gethan, der vielfach
die Feftftellung der Betheiligung italienifcher Künftler an Werken der franzöfifchen
Renaiffance erfchwert. Es ift dies die Ueberfetzung italienifcher Künftlernamen in
franzöfifche oder zuweilen die bis zur Unkenntlichkeit erfolgte Entftellung derfelben
in den zeitgenöffifchen Schriften, Acten und Rechnungen.
So wurde z. B.
aus Ponzio Trebati: Maztre Ponce,
Ij'abella di Pace: Ifabeau de Pafche,
» Matteo dal Naffaro : d’ Alvaffac,
» Domenico Fiorentino ) „ . „. ,
[ : Recouvry, Ricourre, Riconibre,
» Ricoveri oder Recoveri '
» Battißa della Vernia: Baptiße d' Auvergne,
» Domenico da Cortona (Boccadoro): Dominique de Tortemer,
» Primaticcio: Primati ehe,
» Francini (Aleffandro): Franchine,
y> Fra Giovanni Giocondo: Fr'ere Jehan Joyeulx,
» Palladio: Paladiau.
t> Dom Pacello da Mercolia.no: Dom Pajßollo, jardinier.

4. Kapitel.
Entftehung der Formen der Früh-Renaiffance in Frankreich.
(Etwa 1495 — 1540.)
a) Nothwendigkeit einer Periode mit gemifchten Formen.
Die Entftehung der architektonifchen Formen in der franzöfifchen Früh-Renaif- 5S\
Princip
fance beruht auf keinem aufsergewöhnlichen Grundgedanken. Wir ftehen einfach vor der
dem auf dem Gebiete der Architektur fich äufsernden italo-franzöfifchen Ausdruck Mlfchun?en-
einer allgemein menfchlichen Geiftesrichtung. Sie erfcheint überall und zu allen
Zeiten, wo es gilt, eine fremde Sprache, eine neue Ausdrucksweife fich anzueignen.
Das Erfte, was wir alsdann thun, ift, unfere eigenen bisherigen Gedanken und
Gefühle in die neue Ausdrucksweife zu kleiden und darin auszufprechen. Viel
feltener kommt es vor, dafs in der erften Zeit ein fremder Grundgedanke oder eine
fremde Compofition in den eigenen alten Formeln und Detailformen ausgefprochen
wird oder gar gleichzeitig in den neuen. Wo dies auftritt, ift es wahrfcheinlich,
dafs diefe Grundcompofition im fremden Geifte auch thatfächlich von einem Fremden
herrührt und dafs nur die Ausführung denjenigen überlaffen worden ift, die den neuen
Stil erlernen und fich aneignen wollen. Denn das Letzte, was man in folchen
Fällen lernt, befteht darin, dafs man auch im Geifte des Fremden denkt und com-
 
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