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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0047
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30

27.
Nationale
Elemente.

28.
Antike
Denkmäler
Frankreichs.

Die Nothwendigkeit, Italien die Hand zu reichen, erkennt auch Anthyme-Saint-
Paul an, indem er fagt46): »Eine Bewegung nach der Richtung italienifcher Ideen
konnte nicht in das Unendliche hinausgezogen werden, auch unabhängig von den
Feldzügen Carl VIII. und Ludwig XIL, ohne welche es fchliefslich möglich wäre,
Alles zu erklären. Wenn hier, entgegen der fonfligen Gepflogenheit, der Krieg die
Kunft in Bewegung brachte, fo gefchah dies, weil üppige Geiftliche, Freunde des
Prunkes und frei von allen künftlerifchen Vorurtheilen ihn mitmachten.«
Hiermit im Widerfpruch fleht allerdings, wenn derfelbe Autor an einer anderen
Stelle47) fchreibt: »Die Schule von Dijon, Michel Colombe ausgenommen, ändert
nichts an der Thatfache, dafs die Blicke der Franzofen eher nach Norden gelenkt
wurden, als nach Süden.« Diefer Widerfpruch dürfte daher rühren, dafs Anthyme-
Saint-Paul zur CourajodA<X^ Auffaffung (flehe Art. 5 u. 9, S. 7 u. 13) hinneigt, wo-
nach fchon dasjenige Renaiffance genannt wird, was noch durch und durch gothifch
ift, d. h. hier nordifch-realiftifch war und die allerletzte Blüthezeit diefer Kunft bildet,
die ohne Hinzutreten der Neo-Antike noch Taufende von Jahren die gleiche gothifche
geblieben wäre, weil fie eben der Ausdruck der nationalen autochthonen Kunft des
Nordens war.
b) Nationaler Antheil.
Ift es unter folchen Verhältniffen wirklich ganz richtig, zu fagen: »Der her-
vorftechendfte Charakterzug und der bis in die jüngfte Zeit am meiften verkannte
ift der der Nationalität,« wenn Alles, was zum fchon Vorhandenen, zum Gothifchen
neu hinzutrat, aus Italien gebracht oder dort geholt wird? »Unfere Architekten,«
fährt Anthyme fort, »find nicht einen Augenblick des Plagiats zu befchuldigen, und
keinen Augenblick haben fie die Thätigkeit italienifcher Architekten an die Stelle
der ihrigen treten laffen.« Vielleicht nicht. Und doch flammt der Grundgedanke
der Formenbildung und Ueberfetzung — da wo es fleh nicht um, fo zu fagen, rein
italienifche, von Italienern gefchaffene Werke, wie z. B. das Grabmal Ludwig XIL,
handelt — aus dem Mailändifchen, und wenn feine Anwendung zum Theile andere
Erfcheinungen als in Italien hervorbringt, fo kommt dies daher, weil Aufgaben und
Gefchmack noch fehr verfchieden waren.
Allein gerade der Umftand, dafs die römifchen Denkmäler Südfrankreichs in
Folge der Unterbrechung der provengalifchen Cultur fo gut wie gar keinen Einflufs
auf den grofsen Strom der franzöflfchen Renaiffance ausgeübt zu haben fcheinen,
beweist, wie bedeutend um 1500 noch der Abftand zwifchen dem gothifchen und
dem antiken Geifte war, wie es nöthig war, um letzterem in die Culturgebiete
der gothifchen Bauweife Eingang zu verfchaffen, dafs er zuerft dem nordifchen Ge-
fchmack mundgerecht gemacht wurde, und zwar durch die Mailänder Form, in
welcher die gothifche Fiale mit der Antike blofs wie mit Goldftaub oder Zucker
beftreut erfchien.
Angeflchts folcher Thatfachen und Verhältniffe behaupten zu wollen, es fei
die Renaiffance in Frankreich entftanden oder auch nur das Eindringen des italieni-
fchen Einfluffes zu bedauern, weil diefer angeblich damals fchon wieder das
autochthone Aufblühen einer einheimifch-nationalen Kunftentwickelung verhindert
habe; das heifst, fleh verfchliefsen nicht nur gegen eines der grofsartigften Ereig-
ne) Siehe: Planat, a. a. O., S. 359, Artikel; Renaiffance frangaiffe.
Ebendaf., S. 359.
 
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