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In Italien zeigt sich auf dem Gebiete der graphischen Künste fast ein völliger Stillstand der Produftion. Nur
zwei Stecher waren vertreten: E. Daniele in Genua mit einem mittelmässigen Blatte nach Guido Reni und F. Di
Bartolo in Rom mit einem unzulänglichen Stiche nach Tisian's „Irdischer und himmlischer Liebe", der den
Vergleich mit Fr. Weber's trefflicher Arbeit nach diesem Bilde, welche in der Schweizer Abtheilung ausgestellt
war, nach keiner Richtung aushalten konnte. Einige Porträtradirungen Di Bartolo's und einige radirte Thierstudien
desselben waren ebenfalls ziemlich schwach. Zwei Architefturstiche von L. Beltrami in Mailand erhoben sich nicht
über das Niveau der Mittelmässigkeit; vortrefslich behandelt und durch klare Wiedergabe des architestonischen
Details anziehend war dagegen die Radirung „Hof des Palazzo Marini in Mailand" von dem Architeften L. Conconi.
Eine Radirung „Tintoretto's Tochter" von E. Pagliano in Mailand war farblos und unklar; unter den drei
ausgestellten Radirungen von A. B. Gilli in Turin war das technisch hübsch behandelte und farbig durchgeführte
Blatt nach F. Didioni's viel beachtetem Gemälde „Staatsraison" das hervorragendste. Besonderes Interesse erregte
die Originalradirung „Tod des Papstes Bonifacius VIII." von C. Titrletti in Turin durch verständige Composition,
tüchtige Zeichnung und leichte Behandlung; leider ist das Blatt im Colorit etwas trocken gerathen und wirkt fast
nur wie eine feine Federzeichnung.
Ganz unerwartet hat sich auch aus PORTUGAL ein tüchtiger Stecher, A, J. Nunes jun. in Lissabon, eingestellt.
Seine beiden Grabstichelblätter nach einem Porträt von Claude Le Fevre und nach Miirillo's sogenannter „Vierge
au Chapelet" aus dem Louvre sind achtbare Leistungen, welche allerdings die französische Schule nicht verkennen
lassen. Von diesen zwei Blättern abgesehen haben nur noch Chromolithographien von Reis et Monteiro in Porto,
offenbar bloss für die Colonien bestimmte Exportwaare, die graphischen Künste in Portugal vertreten.
Einen talentvollen Aquafortisten haben die VEREINIGTEN STAATEN aufzuweisen: J. A. Mitchell, der in Paris
seine künstlerische Ausbildung erlangt hat und zuerst durch seine Arbeiten für die Zeitschrift LArt bekannt
geworden ist. Von irgend einer nationalen Selbstständigkeit ist jedoch in seinen Radirungen keine Spur zu finden;
sie wurzeln vielmehr nach Gegenstand und Ausführung vollkommen im Pariser Pflaster. Sein „Opernplatz in Paris"
ist eine gut gesehene und wirksam dargestellte Vedute; geistreich aufgefasst, aber technisch etwas nachlässig
behandelt ist sein „Aftschluss", eine Scene aus der Pariser grossen Oper, welche nicht ohne heiteren ironischen
Beigeschmack zeigt, wie Orchester, Soli und Chor auf einen „glänzenden Abgang" hinarbeiten. Beide Blätter sind
Original-Radirungen. Unter den Holzschnitten in der nordamerikanischen Abtheilung ragten die Arbeiten von
T. Cole und Henry Mar/h durch sorgfältige Zeichnung und besondere Zartheit der Behandlung hervor.
RUSSLAND'S Ausstellung war hinsichtlich der graphischen Künste nicht minder interessant, als auf den Gebieten
der Malerei und Sculptur. Es hatten sich allerdings nur wenige Künstler eingefunden, allein deren Leistungen über-
trafen an Werth und Bedeutung die Erwartungen, die man denselben entgegenbrachte. Übrigens ist festzuhalten,
dass die polnische Nationalität auf der Ausstellung mit der rusfischen nur in einem örtlichen Zusammenhange stand,
und gerade im Fache der vervielfältigenden Künste bei der Preisvertheilung eine gewisse Rolle spielte. Das
Polenthum vertrat der Kupferstecher H. Redlich aus Warschau, der seiner Herkunft nach zwar kein Sarmate ist,
aber seine Thätigkeit als Portraitstecher ausschliesslich der polnischen Nation zuwendet und sich in letzterer Zeit
vornehmlich der Reproduftion der Werke Matejko s widmet. Redlich 's Technik, welche eine vorwiegend auto-
didaktische Aneignung nicht verkennen lässt, ist der Malweise Matejkds ganz besonders adäquat und geht ebenso
unmittelbar und mit Verschmähung technischer Finessen auf starke Effe6te los, wie der geniale polnische Maler
selbst. Auf der Ausstellung war Redlich's grosser Stich „Peter Skarga predigt vor König Sigismund III." nach
Matejko zu sehen, ein tüchtig gezeichnetes, breit und wuchtig behandeltes Blatt von starker, wenn auch nicht
durchaus edler Wirkung, für welches dem Stecher die höchste Auszeichnung, die Ehren-Medaille, zuerkannt
worden ist. Seither hat Redlich ein grosses, effektvolles Blatt nach der „Lubliner Union" von Matejko vollendet,
dessen Publication er vorbereitet. Der Künstler hat uns freundlichst die dankeswerthe Ermächtigung ertheilt, als
Probe seiner Technik die Hauptgruppe des Bildes, das bekanntlich die Vereinigung Lithauens mit Polen 1569
darstellt, unseren Lesern in der nebenstehenden heliographischen Reproduftion vorzusühren. In der markigen
Figur des polnischen Magnaten, welcher die Hand auf das Evangelium legt, um die Union zu beschwören,
in der feinen Charakterisirung des Primas, welcher den Eid abnimmt und in den prächtigen Gewändern der
knieenden Würdenträger zeigt sich ganz die Art Matejkds, welche der reproducirende Künstler glücklich
und mit kräftiger Wirkung wiedergegeben hat.
Besondere Erwähnung verdienen auch die Holzschnitte von J. Holcwinski in Warschau nach Bildern von
Matejko und Brandt, welche mit solider Technik eine hübsehe malerische Aufsassung verbinden.
 
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