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ausriefen: »Die Landschaft mit den drei Hütten«. Ich war aber gleich mit dem Rembrandt'schen
Originale hei der Hand, und als sie nebeneinander lagen, musste jeder zugeben, wie grundverschieden
jede Einzelheit der Behandlung sei und wie thörieht sich hier wieder die Reminiscenzenhascherei
erwies. Oft sehen die Strang'schen Landschaften aus wie die Fischerdörfer auf den südlichen Felsen
Norwegens, und man glaubt bei ihm wie bei Everdingcn, er müsse dort gewesen sein, doch ist
es nicht der Fall. Den Himmel lässt er fast immer frei; wenn er Wolken zeigt, so laufen diese nur
auf decoratives Linienspiel hinaus.
Von einer Millet'schen Periode haben wir schon gesprochen; in der malerischen Behandlung,
der Schlichtheit der Ausfassung und den breiten einfachen Typen mahnen uns besonders eine
Anzahl früherer Blätter in der Sandpapiermanicr an den grossen französischen Meister. Hierher
gehören »der Heckenverschneidcr«, mehrere grosse Frauenköpfe, der »Korbslechter« und das
ergreifende Blatt »The Mourners«. Ursprünglich befand sich auf diesem Blatt links noch ein
Todtengräber, ein Grabkreuz und die Andeutung des Kirchhofes überhaupt. Nachher schnitt er die
linke Hälfte ab, so dass nur die beiden Trauernden, die am Rande des Grabes stehen, übrig blieben
und die Composition viel wirkungsvoller, abgeschlossener wurde.
Allmählig löste diese eine »Armeleut-Pcriode« ab, während der er schon viel eigenartigere,
selbständigere Blätter schuf und sich wie die alten Künstler an einige bestimmte, stets wieder-
kehrende, charakteristische Typen gewöhnte. Hierher gehören: »The jury«, »The soup kitchen«,
»das Conventikel«, »Armuth«, »die Predigt«, »der Volksredner im Hyde Park«, »der Kartosfel-
verkäufer«, mehrere der »Death- and Dr. Hornbook« Fassungen (nach Burns), »der Violoncello-
spieler«, »das Quartett«,»Ertrunken«, »Thejolly beggars« (nach Burns), »die Gaukler«(Kaltnadel) etc.
Aus der gleichen Zeit zeigen einige Blätter mit nackten Frauen, dass er den Muth und die Einsicht
hat, das künstlerisch Schöne von dem natürlich Schönen zu trennen und Leiber zeichnet, denen wir
in Fleisch und Blut nicht gern begegnen möchten, die aber hier das Gepräge seines künstlerischen
Willens empfangen haben und darum künstlerisch verklärt sind. Aus derselben Armeleut-Periode
stammen ferner mehrere biblische und heilige Darstellungen wie: »die Versuchung des heiligen
Antonius«, »die Hochzeit zu Cana« und besonders das wunderbare »Abendmahl« (Kaltnadel).
Gleichzeitig mit Uhde, und ohne von diesem gehört zu haben, hat er auch die Bibel illustrirt unter
Verschmähung der damals üblichen archaeologischen Scheinweisheit, indem er ihre Geschichten in
unser alltägliches Gewand kleidete und sie so jedem unmittelbar verständlich machte.
Zu der letzten Periode leiten einige zum Theil auf Zink radirte Platten über, die schon den
grossartigen Linienstil der Folge zu Coleridges »Ancient Mariner« aufweisen; zum Beispiel »The
sick tinker«, »der Ochsenschlächter«, »der Schinder«, »The Castaways«, »die Heilsarmee«. Am
vollendetsten gelangte er zum Ausdruck, wie gesagt, in solchen Blättern wie »der Brautzug« und
»das nackte Weib mit dem Tod«, aus der obengenannten Folge. Damit hat er etwas geschafsen,
das ganz eigenthümlich, wahrhaft gross und schön ist, und an dem man die Stilgerechtigkeit
förmlich beweisen kann.
Juni 1898. Hans W. Singer.
 
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