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ZEICHNUNGEN VON M. LIEBERMANN.

»Nicht das sogenannte Malerische ist's, was ich
suche, sondern die Natur in ihrer Einsachheit und Grösse
aufzufassen — das Einsachste und das Schwerste«
Max Liebermann.

Wie die Befreiung von hundertjährigem Alpdrucke empfindet die moderne Kunst die Zerstörung
der Kunstdogmen, die eine rein wissenschaftliche und ästhetisirend kritische Behandlung aller
Kunstfragen seit Beginn des Jahrhunderts aufgethürmt. Die Widerlegung sogenannter »unum-
stösslicher Wahrheiten«, die wie Zwangsvorstellungen auf Künstlerschaft und Publicum lasteten,
hat eine Vielseitigkeit, Beweglichkeit und naive Schaffensfreude geweckt, die wir längst todt
glaubten, während sie nur schlief. Nun ist alles in flüssiger Bewegung, jeder schafft, wozu die
Lust ihn treibt, und wählt sich die Ausdrucksmittel, die ihm am sympathischesten sind. Eine
Rangordnung hierin gibt es nicht mehr. Die Ölmalerei ist künstlerisch nicht wertvoller wie die
Radirung, der Marmor nicht edler wie das Zinn, das Aquarell nicht vornehmer wie die farbige
Lithographie. Viel ist uns in früherer Zeit an künstlerischer Kraft verloren gegangen durch die
conventionelle Gebundenheit an das Material und die Stufenleiter der akademischen Wertschätzung.
Als ob die Kunst nicht jeden Gegenstand so hoch über den Materialwert erheben würde, dass
dieser daneben gleichgiltig ist.
Liebermann hat berühmte Ölgemälde geschasfen, er hat sich mit Erfolg der Pastelltechnik
gewidmet, er hat auch radirt, und wie gross sein Verdienst auf diesen Gebieten sein mag, das
Liebste sind uns und wohl auch ihm seine einfachen Zeichnungen in schwarzer Kreide auf
weissem oder getöntem Carton, allenfalls noch ergänzt mit wenigen hellen Strichen für die Lichter.
Als wertvolle Documente seines Lebenswerkes sind sie rasch i.i die Mappen der öffentlichen
Kunstcabinette und Privatsammlungen gewandert, und es war eine glückliche Idee der Verleger
Bruno und Paul Cassirer in Berlin, eine Auswahl von 25 Blättern in Lichtdruck zu veröffent-
lichen. Die Wahl ist mit Verständnis getrosfen. Wir finden Liebermann, den impressionistischen
Schilderer der holländischen Landschaft, den Sucher und Entdecker feiner Seelenstimmungen in der
scheinbar leeren Prosa bäuerlichen Alltagslebens, und Liebermarin, den geistreichen Porträtisten.
Was der Meister als rapid ausfassender Beobachter momentaner landschaftlicher Stimmungen
gerade in der Zeichnung geleistet, ist bekannt. Wie die Sonnenflecke flimmern, wie die Lichter bei
aller Weichheit haarscharf am rechten Platz die Form beleben, wie der weite Raum bei längerer
Betrachtung immer mehr an Tiefe gewinnt, welches Leben durch Luft und Wolken rauscht und
welche Grosszügigkeit das Detail in einen Gesammteindruck zusammenfasst, davon hat jeder einen
dauernden Eindruck empfangen, durch dessen Hände jemals Zeichnungen von Liebermann gegangen
 
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