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Augenbrauen wie eine, die eben jemand angesprochen, aber ihre Theilnahmc ist nur eine halbe,
wie überhaupt das ganze Leben, das noch vor ihr liegt, sie wenig mehr intcressirt, woran sie einst
wirklichen Antheil nahm, das ist nicht mehr, das hat sie alles allmählich zu Grabe getragen. Zu
hoffen und sich zu freuen, sind jetzt andere an der Reihe und sie gönnt es ihnen. Ebenso erzählen
uns die Köpfe der Bauern und Dorfjungen ihre kurze Lebensgeschichte.
Ein Bauer schreitet mit einem Tragkorb am Rücken dem Markte zu. Er überlegt den Gewinn,
erwägt die Vortheile, die ihm bei klugem Vorgehen nicht ausbleiben können. Das sieht man
deutlich in seinen Zügen. Die alte Bäuerin kommt von der Kirche, eine weinerliche Seele, der die
Sorge zur zweiten Natur geworden, harmlos und warmherzig für jegliches fremde Elend, aber
ohne Verständnis für Menschen, für die es auf dieser Welt noch andere Dinge gibt als Jammer
und Noth. So schildert Liebermann das holländische Volk in schlichter Wahrhaftigkeit und ohne
jede Tendenz aus innerer Freude an der Beobachtung.
Andere Skizzen führen uns Momentbilder aus dem städtischen Leben vor Augen, eine Frau
ist in der Sofaecke eingeschlafen, ein Mädchen blickt sinnend in ein Buch, wir sehen in ihren
Zügen, welchen Eindruck die Lecture auf sie macht.
Liebermanns Spürsinn für das Charakteristische des physiognomischen Ausdruckes hat ihn
von jeher auch zum trefslichen Porträtisten gemacht. Mehrere Blätter der Sammlung zeigen, wie
er das innere Wesen der Menschen in seinen mannigfachen Schattirungen durch die äussere
Erscheinung anschaulich zu machen versteht. So sind namentlich die Bildnisse von Meunier und
Fontane von fesselndster Art. Der Bildhauer, bei dem das ganze Leben des Kopfes sich im
suchenden, forschenden Auge Concentrin, und der Schriftsteller, unter dessen Denkerstirnc ein
klarer Blick ruhig ins Leben hinaussieht.
So tritt uns Liebermann in dieser Sammlung, so klein sie, verglichen mit seinem Lebenswerke
auch ist, als vielseitiger und doch aus einer Anschauung heraus schaffender Künstler entgegen,
als zielbewusster Impressionist, der ganz in der Natur aufgeht, mit ihr fühlt, durch sie allein sein
Wissen vermehrt und vertieft und als glücklicher Entdecker und kühner Eroberer erfolgreich
mitarbeitet an der Begründung einer selbständigen und eigenartigen Kunst kommender
Generationen.
Josef Folnesics.
 
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