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Nach einer Zeichnung von M. Stippantschitsch.

DIE STIMMUNG
ALS INHALT
DER MODERNEN KUNST.

Auf einsamem Alpengipfel habe ich mich niedergelassen. Steil senkt sich
das Erdreich unmittelbar zu meinen Füssen, so dass kein Ding vor mir in greif-
barer Nähe bleibt und die Organe meines Tastsinnes reizen könnte.
Dem Auge allein bleibt die Berichterstattung überlassen und von
vielem und mannigfaltigem hat es zu berichten. Da wölben sich
zunächst grasige Bodenwellen bunt gesprenkelt mit Blumen, die von
der Jahrzeit gezeugt, mit der nächsten Jahrzeit schwinden werden.
Schranke ist den Wiesen weiter unten der dunkle Fichtenwald mit
seinen zahllosen emporstrebenden Spitzen; aber ein leichter
Schimmer liegt einem Hauche gleich darüber, denn es ist Früh-
sommer und die neuen Triebe brechen mächtig hervor und ver-
mehren täglich den Cubikinhalt des Forstes. Am Rande des Gehölzes
weiden Kühe; keinen Augenblick halten sie still, wie ich weiss, aber
jetzt sind es nur winzige weisse Punkte, die ihre Existenz ver-
künden. Hebe ich aber den Blick nach der Felsmauer gegenüber, so
trifft er vor allem den Wasserfall, der über haushohe Wände
herabstäubt und vor dessen zornigem Donner kein Laut
bestehen kann; so sah ich und hörte ich ihn kürzlich in der
Nähe, und scheue Ehrfurcht empfand ich damals vor der
ungeheuren Kraft, jetzt aber wirkt er nur ein versöhnend
helles Silberband durch das dunkle Geschröfs. Taucht
endlich das Auge ganz hinab in den grünen Thalgrund, so
trifst es ein Häuschen mit schimmernd weissen Mauern
und ein Rauchwölkchen schwebt daneben als Zeuge der
Geschäftigkeit derjenigen, die darinnen wohnen.
Indem ich nun das Ganze überschaue — überall
Zeugen rastlosen Lebens, unendlicher Kraft und unauf-
hörlicher Bewegung, tausendfältigen Werdens und Ver-
gehens, und doch eine vereinigende Ruhe darüber aus-
gegossen, aus der auch nicht eine Regung dissonirend
 
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