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I.

Carl Theodor Meyer wurde zu Basel am 15. Mai 1860 geboren. Sein Vater Dr. Theodor
Meyer-Merian, Director des städtischen Krankenhauses, war, wie Dr. Hans Troger in einer Studie
über unseren Künstler berichtet,1 ein liebenswürdiger Mensch, ein geistvoller Plauderer, ja auch
zu Zeiten ein Dichter, dessen Lieder noch heute unvergessen sind in der alten thürmereichen Stadt,
deren rothe Sandsteinhäuser sich im grünen Rheine spiegeln.

Als er starb, war sein Sohn kaum sieben Jahre alt, hatte aber schon viel gezeichnet, vor allem
Blumen, wozu ihn der Vater besonders angehalten hatte, »weshalb ich wohl auch bloss Landschafter
geworden bin«, wie er selbst sagt. Heute wäre dies eher eine Vorschule für Ornamentiker oder
decorative Künstler. Aber im Jahre 1867 war man noch nicht beim Stilisiren angelangt, und heute
glaubt unser Künstler selbst, dass es für ihn dazu zu spät ist. Wenn er, wie einstens, Blumen zu zeichnen
hat, so zeichnet er sie immer ehrlich, wie sie sind und wie er sie sieht, nur weil sie hübsch sind
und weil ein Aquarell minder schnell verblüht und verblasst. Mit wie ganz anderen Absichten sind
seine Schweizer Landsleute H. E. von Berlepsch, Eugene Grasset und Carlos Schwabe an solche
Aufgaben herangetreten! Es gäbe ein lehrreiches Capitel künstlerischer Botanik, wenn man unter-
suchte, wie jeder der vier Landsleute dieselbe Blume auf seine Art wiedergibt.

Nach dem Ableben des Vaters war der kleine Theodor in der zärtlichen Obhut seiner Mutter
und seiner Schwester. Ein Freund der Familie, der berühmte Kupferstecher Friedrich Weber, über-
wachte die künstlerischen Anlagen des Kindes; er Hess ihn alle grossen und kleinen Lithographien
Calames copieren, womit er ihm freilich einen recht schlechten Dienst erwies, denn Meyer brauchte
sehr lange, um die gequälte und unmoderne Manier des alten Genfer Meisters wieder zu verlernen.
Gleichzeitig zeichnete er eifrig bei Trübner und Schider an der Zeichen- und Modellierschule. Im
October 1877 kam er, siebzehn Jahre alt, nach München, wo er dank dem guten Unterrichte
Schiders in die Akademie eintreten konnte. Zwei Halbjahre zeichnete er nach der Antike, dann
fünf Halbjahre bei Professor Raab Kopf und Act. Daneben lernte er in Kupfer stechen, und zwar
nach Landschaften von Wenglein, Lier u. A. Die zwei genannten Künstler bereiteten bei ihm den
entscheidenden Einfluss vor, den die französischen Landschafter und die Schule von Barbizon
auf ihn ausüben sollten. Wenglein hatte sich in Frankreich aufgehalten; er hatte den Zauber von
Frei-Licht und -Luft kennen gelernt und versucht, etwas davon in seinen Bildern aus der Umgebung
Münchens zum Ausdruck zu bringen. Übrigens war Meyer auch mit zwei anderen ausgezeichneten
Schweizer Malern, die sich in München niedergelassen hatten, in enge Verbindung getreten, mit
Stäbli und dem verstorbenen Otto Fröhlicher, deren kräftig leidenschaftliche künstlerische Art er
sehr bewunderte. Er lernte von ihnen sozusagen die Achtung vor der Natur, was ihn vor allem
reif machte für die künstlerische Offenbarung, die ihm im Jahre 1889 durch Corot, Daubigny,
Millet, Diaz zutheil ward. Ganz besonders bewunderte er die Jeanne d'Arc Bastien Lepages,
diese echte Lothringer Bäuerin und gottbegnadete Seherin in einer Person.

Auf der Akademie blieb er mittlerweile in den Actcursen zurück. Während der zwei Semester
bei Alexander Wagner, wo er »das Malen zu erlernen hoffte«, malte er nur Köpfe und keinen
einzigen Act. Er sah ein, dass er auf falschem Wege war. Ohnehin hatte er sich schon lange für
die intime Landschaft der Franzosen von 1830 entschieden, die allmählich in Deutschland mehr
und mehr Anhänger gewonnen hatte. Er ging daher zu dem Künstler, dem er die ersten künst-
lerischen Natureindrücke verdankte, zu Professor Wenglein. Endlich verliess er im Jahre 1888
Schule und Atelier und stellte sich auf eigene Füsse. Seitdem ist er in München sesshaft und lebt

i Vgl. Die Schweiz, 25. August 1898.
 
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