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Es würde freilich falsch sein, wenn man ihn nach beliebter Art als Karikaturenzeichner rubri-
ciren wollte. Er selbst würde dagegen protestiren; Specialistenthum in der Kunst hält er für
unkünstlerisch und unrichtig. Die Karikatur führte Neuenborn wieder zu einem gründlichen
Thierstudium und zu der Thierdarstellung im ernsten Sinne. Er betrat damit sein persönlichstes
Feld. Seine ganze Ausdrucksweise verwies ihn bei diesen Arbeiten auf die Lithographie. Diese
bietet ein umfangreiches Feld zur Bethätigung aller Mittel zeichnerischer oder rein malerischer
Technik, bei einer relativ billigen Herstellungsweise. Der Reiz der Zeichnung auf Stein ist ein
grosser, die Behandlungsweise des gefügigen Materials ist frei von den Umständlichkeiten und
augenschädlichen Wirkungen der Radirkupferplatten.

Neuenborn war schon als Kind mit den Thieren vertraut und seine ersten naiven Kunst-
übungen waren Thierzeichnungen. »On revient toujours ä ses premiers amours.« Geboren 1866
zu Stollberg im Rheinlande, wo sein Vater im dortigen Industriegebiete eine angesehene Stellung
einnahm, verlebte der Künstler seine Kinderjahre in einem Eifeldorfe. Hier zeichnete der Knabe,
was er an Thieren sah, instinetiv in Büchern ab, ohne irgend eine Anregung von aussen erhalten
zu haben. Durch den zufälligen Besuch eines Düsseldorfer Akademikers in jenem Eifeldorf
enthusiasmirt, dehnte er dann seine spielerischen Versuche auch auf Figürliches und Landschaft-
liches aus, letzteres nach der Natur zeichnend. Diese kindliche Beschäftigung verwandelte sich in
eine ernste künstlerische Leidenschaft, als seine Eltern nach Düsseldorf zogen. Hier besuchte er das
Gymnasium und nach Absolvirung desselben durfte Neuenborn nach Überwindung der gewöhn-
lichen Schwierigkeiten bezüglich der zweifelhaften Carriere, die er zu wählen gewillt war, 1884
die Düsseldorfer Akademie beziehen. Die grossen Vortheile der Kunstschule mit ihren reichen
Hilfsmitteln leugnete er nicht ab, aber er war schon damals der Meinung, dass sie sich den
Bedürfnissen der verschiedenen Talente unterzuordnen hätte. Eine Akademie, die mit ihren
eingewurzelten Principien grossen Einfluss auf entwicklungsfähige Talente hat, birgt eine grosse
Gefahr. Es entstehen auf diesen Kunstschulen unter dem suggestiven Einfluss bedeutender
Meister und Lehrer viele Kunstwerke, an denen der sogenannte Autor kaum zur Hälfte betheiligt
ist. Wem dieses einleuchtet, der möge sich bei Zeiten seitwärts in die Büsche schlagen, anstatt
ein sogenanntes Erstlingswerk zu schaffen, das er vor seinem Gewissen als selbständig nicht
verantworten kann. Neuenborn und viele seiner Akademiegenossen — zu den Worpswedern
stellten die Düsseldorfer Akademiker das Haupteontingent • waren in diesem Sinne ehrliche
und überzeugte Secessionisten. Sie sagten: Die Kunst ist nicht mehr zünftig, sondern der moderne
Künstler will und soll unabhängig von einer sogenannten Richtung aus dem unergründlichen
Quell der Natur schöpfen. Sagt doch auch Albrecht Dürer schon: »Die Kunst steckt wahrhaftig in
der Natur, wer sie heraus kann reissen, der hat sie.« Eigenthümlichkeit des Ausdruckes aber ist,
nach Goethe, der Anfang und das Ende aller Kunst.

Der Zufall führte Paul Neuenborn, als er in seiner künstlerischen Ausbildung auf der
Akademie schon weit vorgeschritten war, nach Brüssel und Antwerpen und weiter nach Belgien
hinein. Belgien ist gewissermassen das Eldorado für die Düsseldorfer Maler. Zu dem ausgeprägten
landschaftlichen Charakter, der dem Niederrhein und der Scheide gemeinsam ist, gesellt sich
hier die Billigkeit des Landaufenthaltes. Das Land mit seinen herrlichen Kunstschätzen, seinen
alten Städten und ihrer bedeutenden Geschichte, das bunte, eigenartige, charaktervolle Volksleben
in Verbindung mit der wundervollen Natur, der Seeküste und der stillen tiefen Poesie des Flachlands
zog Neuenborn und viele seiner jungen Kunstgenüssen mächtig an. Die Bekanntschaft mit
tüchtigen belgischen Künstlern, die ihm viele Anregung gaben, vermehrte seine Abneigung gegen
 
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