Überhaupt tritt der Bildhauer in Schadow überall hinter dem Zeichner hervor. Auch in
diesem Album, in dem alle nur das Metier betreffenden Studien fehlen. Nur ein Bildhauer konnte
zu einer so klaren Formanschauung durchdringen, wie wir sie auf jedem Blatt antreffen, nur ein
im Raum die Form so streng durchfühlender Plastiker diese absolute Sicherheit gewinnen. In der
Herausarbeitung der plastischen Form liegt das eminent Persönliche des Schadowschen Zeichen-
stils. Und diese persönliche Marke bedingt die erstaunliche Gleichmäßigkeit des künstlerischen
Niveaus; sie würde, auch ohne die in den meisten Fällen orientierende Aufschrift, mit Sicherheit
sein künstlerisches Eigentum von den Beiträgen sondern, die in dem Album sonst noch Auf-
nahme gefunden haben.
*
Unschätzbaren Wert besitzt das Familienalbum für die Lebensgeschichte des Meisters. Es
hebt ihn selbst mit seiner ganzen Verwandtschaft, mit den Freunden und den Bekannten aus der
historischen Verblaßtheit in das farbige Leben der Gegenwart. Berühmtheiten werden in ungeahnt
scharfe Beleuchtung gerückt; was sonst ein Name mit leerem Schall geblieben wäre, empfängt
eine ganz individuelle Gestalt. Das leibhafte Auferstehen dieser oft auserwählten Umgebung
bevölkert den öden Raum, der allzu schnell die über das Grab hinaus Lebenden aufnimmt.
In zwei wesentlich verschieden zusammengesetzten Zirkeln spielt sich die erste und die
zweite Hälfte dieses Lebens ab. Die genialisch-produktive Jugend gefällt sich in dem Verkehr mit
dem lebhaften Künstlervolk; in seinem philiströs-beschaulichen Alter sucht Schadow mehr den
Umgang mit der gesetzten Welt der Beamten und Militärs, die ihm, dem bürgerlich so wohl
Rangierten, mit ihrem Ordnungssinn und ihrer Pflichttreue wahlverwandt war. Und wie zwei Genien
stehen an der Pforte dieser Geselligkeitswelten jene beiden Frauen, die er sich zu Gefährtinnen
seines Lebens ausersehen hat.
Das Interesse haftet natürlich zuerst an ihm selbst. An Bildnissen von eigener wie von
fremder Hand ist auch kein Mangel. Aber alle zeigen in mehr oder weniger vorgeschrittener Aus-
bildung den bekannten Typ mit den etwas schwammigen Formen der breiten Nase, und dem
entschieden sarkastischen Ausdruck des Mundes. Nur auf eines stoßen wir, das ohne seine deutliche
Unterschrift ihnen anzureihen uns kaum in den Sinn käme. Es ist von Tobias Sergel, dem schwe-
dischen Hofbildhauer, den Schadow 1791 in Stockholm aufsuchte. Von allen mir bekannten Bild-
nissen das frühste. Gewiß ist es chargiert, aber seine charakteristischen Merkmale, der lebhafte Blick,
die stark gekrümmte Nase, die Form des Mundes werden durch ein ebenfalls jugendliches Selbst-
bildnis in Ton bestätigt, das, ehemals in der Gartenhalle des Schadow-Hauses aufgestellt, gleichfalls
in den Besitz von Frau Professor Kaibel gekommen ist. Von diesem Bildnis aus findet man auch
den Weg zurück zu jener radierten Karikatur, die Schadows Gesichtsmaske mit denen seiner
römischen Bekannten vereinigt zeigt (Fol. 30, VI) und zu dem kürzlich in den Mitteilungen für die
Geschichte Berlins (1908, Nr. 5, S. 144) veröffentlichten Aquarell von F. Bolt, die beide das uns un-
gewohnte Profil seines Kopfes darstellen. Freilich auch vor diesen Jugendbildnissen lächeln wir über
den Enthusiasmus der Mutter, wenn sie von dem 1787 mit Weib und Kind aus Rom imTriumph Heim-
kehrenden berichtet: »Gottfried sieht aus wie ein Apoll«. Sie war aber klug genug, gleich hinzu-
zusetzen: »sollte diese Zeichnung nicht richtig sein, so war es seine Mutter, die sie machte«.
Außer dieser Klugheit hat die Mutter, ein einfaches Soldatenkind, ihrem Sohne auch etwas
von ihren Gesichtszügen vererbt, wie die liebevoll durchgeführte Zeichnung im Album beweist.
Der Vermerk darauf: die Mutter in Lichtenberg und der Vergleich mit einer im Kupferstecher-
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diesem Album, in dem alle nur das Metier betreffenden Studien fehlen. Nur ein Bildhauer konnte
zu einer so klaren Formanschauung durchdringen, wie wir sie auf jedem Blatt antreffen, nur ein
im Raum die Form so streng durchfühlender Plastiker diese absolute Sicherheit gewinnen. In der
Herausarbeitung der plastischen Form liegt das eminent Persönliche des Schadowschen Zeichen-
stils. Und diese persönliche Marke bedingt die erstaunliche Gleichmäßigkeit des künstlerischen
Niveaus; sie würde, auch ohne die in den meisten Fällen orientierende Aufschrift, mit Sicherheit
sein künstlerisches Eigentum von den Beiträgen sondern, die in dem Album sonst noch Auf-
nahme gefunden haben.
*
Unschätzbaren Wert besitzt das Familienalbum für die Lebensgeschichte des Meisters. Es
hebt ihn selbst mit seiner ganzen Verwandtschaft, mit den Freunden und den Bekannten aus der
historischen Verblaßtheit in das farbige Leben der Gegenwart. Berühmtheiten werden in ungeahnt
scharfe Beleuchtung gerückt; was sonst ein Name mit leerem Schall geblieben wäre, empfängt
eine ganz individuelle Gestalt. Das leibhafte Auferstehen dieser oft auserwählten Umgebung
bevölkert den öden Raum, der allzu schnell die über das Grab hinaus Lebenden aufnimmt.
In zwei wesentlich verschieden zusammengesetzten Zirkeln spielt sich die erste und die
zweite Hälfte dieses Lebens ab. Die genialisch-produktive Jugend gefällt sich in dem Verkehr mit
dem lebhaften Künstlervolk; in seinem philiströs-beschaulichen Alter sucht Schadow mehr den
Umgang mit der gesetzten Welt der Beamten und Militärs, die ihm, dem bürgerlich so wohl
Rangierten, mit ihrem Ordnungssinn und ihrer Pflichttreue wahlverwandt war. Und wie zwei Genien
stehen an der Pforte dieser Geselligkeitswelten jene beiden Frauen, die er sich zu Gefährtinnen
seines Lebens ausersehen hat.
Das Interesse haftet natürlich zuerst an ihm selbst. An Bildnissen von eigener wie von
fremder Hand ist auch kein Mangel. Aber alle zeigen in mehr oder weniger vorgeschrittener Aus-
bildung den bekannten Typ mit den etwas schwammigen Formen der breiten Nase, und dem
entschieden sarkastischen Ausdruck des Mundes. Nur auf eines stoßen wir, das ohne seine deutliche
Unterschrift ihnen anzureihen uns kaum in den Sinn käme. Es ist von Tobias Sergel, dem schwe-
dischen Hofbildhauer, den Schadow 1791 in Stockholm aufsuchte. Von allen mir bekannten Bild-
nissen das frühste. Gewiß ist es chargiert, aber seine charakteristischen Merkmale, der lebhafte Blick,
die stark gekrümmte Nase, die Form des Mundes werden durch ein ebenfalls jugendliches Selbst-
bildnis in Ton bestätigt, das, ehemals in der Gartenhalle des Schadow-Hauses aufgestellt, gleichfalls
in den Besitz von Frau Professor Kaibel gekommen ist. Von diesem Bildnis aus findet man auch
den Weg zurück zu jener radierten Karikatur, die Schadows Gesichtsmaske mit denen seiner
römischen Bekannten vereinigt zeigt (Fol. 30, VI) und zu dem kürzlich in den Mitteilungen für die
Geschichte Berlins (1908, Nr. 5, S. 144) veröffentlichten Aquarell von F. Bolt, die beide das uns un-
gewohnte Profil seines Kopfes darstellen. Freilich auch vor diesen Jugendbildnissen lächeln wir über
den Enthusiasmus der Mutter, wenn sie von dem 1787 mit Weib und Kind aus Rom imTriumph Heim-
kehrenden berichtet: »Gottfried sieht aus wie ein Apoll«. Sie war aber klug genug, gleich hinzu-
zusetzen: »sollte diese Zeichnung nicht richtig sein, so war es seine Mutter, die sie machte«.
Außer dieser Klugheit hat die Mutter, ein einfaches Soldatenkind, ihrem Sohne auch etwas
von ihren Gesichtszügen vererbt, wie die liebevoll durchgeführte Zeichnung im Album beweist.
Der Vermerk darauf: die Mutter in Lichtenberg und der Vergleich mit einer im Kupferstecher-
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