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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 34.1911

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Glück, Gustav: Ein Marienbild von Martin Schongauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.4225#0107
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Engels, der hinter der Krone sichtbar wird, wie gequollen aussieht und plastisch hervortritt. Die
Komposition selbst ist bei größter Einfachheit von höchster Anmut und ruhiger Geschlossenheit;
besonders fein in den Raum komponiert erscheint uns die Figur des Engels, die fast wie eine deko-
rative Zutat hinter den in einem Dreieck angeordneten beiden Hauptfiguren verschwindet. Schlicht
und natürlich ist die Haltung der heiligen Jungfrau und dazu steht die lebhafte Bewegung des
Kindes in einem wohltuenden Gegensatz.

Der Name Schongauers ist dem Bildchen, das in der älteren kunstgeschichtlichen Literatur

bekannt war und be-
sonders von Alfred
Woltmann in seiner
Geschichte der Ma-
lerei rühmend er-
wähnt wird, wenn
auch ohne äußere
Beglaubigung, so
doch mit guten in-
neren Gründen ge-
geben worden, seit-
dem es von Kunst-
verständigen gese-
hen worden ist. Es
hängt aufs engste
mit einer Gruppe von
kleinen Bildern zu-
sammen, die zu dem
Schönsten und Fein-
sten gehören, was
die altdeutsche Ma-
lerei hervorgebracht
hat, und die mit vol-
lem Rechte Schon-
gauer zugeteilt wor-
den sind. Es sind
dies die bekannten
kleinen Darstellun-
gen der heiligen Fa-

Martin Schongauer, Die Madonna mit dem Papagei.

Kupferstieb.

milie in der kaiser-
lichen Galerie zu
Wien und in der
alten Pinakothek zu
München, denen sich
die erst vor wenigen
Jahren im englischen
Kunsthandel ent-
deckte »Geburt Chri-
sti« im Kaiser-Fried-
rich-Museum zu Ber-
lin würdig anschließt.

Die Übereinstim-
mung dieser Gruppe
von Gemälden mit
dem hier zuerst ver-
öffentlichten Marien-
bilde ist nun völlig
schlagend. Man ver-
gleiche nur die Köpfe
Mariens mit den
wallenden Haaren,
den niedergeschla-
genen Augen und
der »gespaltenen«
Lippe auf allen vier
Bildern, die Gestal-
ten des Christus-
kindes besonders in

unserem Marienbilde und in der heiligen Familie der Wiener Galerie, die eigentümlichen Farben
der Mäntel, der Tücher, in die das Gebetbuch geschlagen ist, die bezeichnenden Formen der mageren,
schmalen Hände und der Füßchen des Kindes und anderes mehr.

Diese kleinen Gemälde, die an Feinheit der malerischen Durchführung in der gleichzeitigen
deutschen Malerei kaum ihresgleichen finden, sind zwar äußerlich als Werke Schongauers nicht
beglaubigt; doch kann an Schongauers Urheberschaft nicht gezweifelt werden, da die genannten
Bildchen sowohl mit dem Hauptwerke unter den größeren Gemälden des Meisters, der »Madonna
im Rosenhag« in Colmar, als auch mit seinen Stichen im Stile die allernächsten Zusammenhänge

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