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Zeit der Geburt Schongauers zu
vermuten berechtigt sind. Denn
nach einem langen Streit, in dem
eine zwar aus der ersten Hälfte
des XVI. Jahrhunderts stammen-
de, doch in den Jahreszahlen
nachweislich unverläßliche und
auch sonst noch vielfach rätsel-
hafte Inschrift auf der Rückseite
von Burgkmairs Bildnis Schon-
gauers in der Münchner Pina-
kothek eine Hauptrolle gespielt
hatscheintsich die Überzeugung
zu befestigen, daß Schongauer
nicht lange nach 1440 geboren
sein kann. Da Roger van der
Weyden erst im Jahre 1464 ge-
storben ist, so kann er recht gut
Schongauers Lehrer gewesen
sein. Für diesen Zusammenhang
zwischen niederländischer und
oberdeutscher Kunst ist nun
auch das hier zum ersten Male
veröffentlichte Bildchen aus dem
Besitze des Herrn von Gutmann
in Wien, dem wir für die Erlaub-
nis der Publikation zum wärm-
sten Danke verpflichtet sind, ein
neues wertvolles und wichtiges
Zeugnis.

Jede Bereicherung unserer
Anschauung von Schongauers
Kunst muß uns schon darum
willkommen sein, weil seine
Werke auf die Jugendentwicklung des größten deutschen Meisters einen bestimmenden Einfluß aus-
geübt haben: von Dürers Bewunderung für seinen Vorgänger zeugen sowohl der Stil seiner frühen
Zeichnungen als auch die Reise, die er als junger Mensch unternahm, um Schongauers Brüder in
Colmar zu besuchen. Auch in der Jugendgeschichte Michelangelos, der wohl schwerlich in seinem
Leben viel kopiert haben dürfte, spielt die gemalte Kopie eines Schongauerschen Stiches eine Rolle.
Die hohe Schätzung Schongauers vermögen auch wir heute zu begreifen und wir möchten ihn
nicht nur für den Vertreter eines überfeinerten Manierismus halten, als welchen ihn ein geistvoller
Kunstforscher hingestellt hat. Den köstlichen Inhalt von feiner, inniger Empfindung und zarter
Anmut dürfen wir unter der ein wenig gezierten Form spätgotischer Mode nicht übersehen.

Martin Schongauer, Die heilige Familie.

Gemälde in der alten Pinakothek zu München.

Gustav Glück.

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