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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 36.1913

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Weixlgärtner, Arpad: Oskar Laske
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https://doi.org/10.11588/diglit.3752#0030
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Zuschauermassen. Der Künstler hat das Blatt, wie es ist, von einem Fenster in der Kärntnerstraße
aus gemalt. Es sollte, wie erzählt wird, für das Museum der Stadt Wien angekauft werden, dem
mit der Erwerbung betrauten Herrn aber war der Leichenwagen nicht deutlich genug erkennbar und
so blieb einstweilen der städtischen Gemäldegalerie die ausgezeichnete Darstellung eines
Ereignisses, das für die Lokalgeschichte Wiens immerhin von Bedeutung ist, vorenthalten.

Bei der Wiedergabe eines von ihm selbst erlebten und geschauten Vorganges, wie es Luegers
Leichenbegängnis ist, konnte dem Künstler die impressionistische Methode genügen. Bei der im
Sommer 1911 gemalten »Kreuzigung« aber, dem bedeutendsten und auch umfangreichsten
Werke, das Laske bisher geschaffen hat, bewältigt er sein Thema (es ist wieder die bewegte Menge)
nur zum kleinsten Teil als Impressionist. Sein Erzählertalent, sein Erfindungsreichtum ist zu groß,
als daß er es sich hätte versagen können, im Vorder- und Mittelgrund die Menge in einzelne
Personen aufzulösen, von denen zwei oder mehrere immer wieder zusammengehören und die
Akteure einer der vielen Szenen abgeben, in denen Laske unterhalb Golgathas allen Unsinn, alle
Verruchtheit und alles Elend des menschlichen Lebens veranschaulicht.

Unwillkürlich erinnert dieses Bild — es ist mit Tempera- und Aquarellfarben gemalt — an
Brueghels »Kreuztragung« im Wiener Hofmuseum. Auch auf dem Bild des alten Flamen ist die
Menschenmenge die Hauptsache. Der unter dem Kreuz zusammenbrechende Christus ist, obwohl
genau in den Mittelpunkt der Komposition gestellt, kaum auffindbar, und die Gruppe von Johannes
und den heiligen Frauen ist trotz der Größe der ganz im Vordergrund angebrachten Figuren gleich-
falls unschwer zu übersehen. Auch das alte Bild macht zuerst, namentlich mit den Kompositionen
der klassischen Italiener verglichen, einen verwirrenden Eindruck, weil das Auge keinen Ruhe-
punkt findet und nicht weiß, wo anfangen. Der rechte Genuß stellt sich für den Beschauer erst
dann ein, wenn er sich die Mühe nimmt, Gruppe für Gruppe, Figur für Figur genau anzusehen.
Dann stößt er auf immer neue Schönheiten, er wird nicht müde, sich der glänzenden Beobachtungs-
gabe, der schöpferischen Phantasie, des Reichtums an Geist und Humor, des ungeheueren
malerischen Könnens zu freuen.

Ganz ähnlich geht es dem Betrachter von Laskes Bilde. Aber dieses ist unstreitig besser
komponiert. Beunruhigt, wie in der Wirklichkeit so auch hier in der Kunst, der Anblick des zahl-
losen Menschengewimmels, so fallen doch sofort die Silhouetten der drei Kreuze hoch oben auf
dem terrassierten Bergesgipfel, über den sich eben die das Gewölk durchbrechenden Sonnenstrahlen
ergießen, in die Augen. Links der Blick in die Ferne, auf das bewohnte Tal und die von Menschen-
zügen belebte Hochebene beruhigt ebenso wie der im Schatten liegende Bergesabhang, über den
sich zwischen Zelten und Pinien die Scharen des Volkes und des aufgebotenen Militärs verteilen.
Dann kommt als Teil der Stadt Jerusalem ein Streif weißen Gemäuers, und erst im unteren Drittel
des Bildes wird Figur um Figur erkennbar und spielt sich vor dem genauer Zusehenden Szene um
Szene ab: Hoch oben auf einem riesigen Kamel, das feierlich dahinschwankt, ruht in einem
kostbaren Gehäuse nackt eine berühmte Kurtisane, der das Volk begeistert zujubelt. Sie und ihr
Tier sind Bilder des Hochmutes. Zwei Kamelreiter, weiß vermummt und mit langen Spießen
bewaffnet, schaffen Platz. Zwei Häscher, die an Stricken einen armen Gefangenen führen, den ein
dritter ihresgleichen mit Püffen zu schnellerem Gehen antreibt, versinnlichen ebenso wie die Reiter,
die rücksichtslos in die Menge sprengen, die rohe Gewalt. Der Tod hält nicht nur oben auf
Golgatha Ernte, auch unten schafft er Arbeit: ein Leichenzug trägt ein schon früher von ihm gefälltes
Opfer die Gasse hinauf, die in die große Treppe ausmündet; ein neugieriger Zuseher stürzt rechts
von einem flachen Dach herab, sich das Genick zu brechen; links im Gewühl rennt, einen Dolch in

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