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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 36.1913

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Redon, Odilon; Henkel, Max D.: Odilon Redon
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https://doi.org/10.11588/diglit.3752#0054
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Savannen in Amerika empfunden habe, in den Ungeheuern Waldungen, die er urbar machte, wo er
sich einmal tagelang verirrt hatte; welch mutiges und gewissermaßen wildes Dasein er führte, als
er jung war und für Glück und Freiheit alles aufs Spiel setzte. Nach dem, was er uns so in der
Familie von seinen Unternehmungen und damaligen Handlungen erzählte (er war Pflanzer, er
hatte Neger), erschien er mir wie ein gebieterisches, unabhängiges und sogar hartes Wesen,
vor dem ich immer gezittert habe. Trotzdem sehe ich heute in weiter unbestimmter Ferne
und mit allem, was mir von ihm in der Erinnerung geblieben, auf dem Grunde seiner Augen, die
sich leicht mit Tränen füllten, eine barmherzige und weiche Empfindung, welche seine äußere
Bestimmtheit nur wenig zurückdrängte.

Er war groß, aufrichtig und stolz und besaß viel natürliche Vornehmheit. In der Nähe der
kleinen Stadt Libourne geboren, wo einige Dörfer und manche Familien unseren Namen tragen,
war er zur Zeit der Kriege des ersten Kaiserreiches, noch ganz jung, als ältester Sohn einer
wohlhabenden Familie, die aber durch die schweren Zeiten verarmt war, nach Neu-Orleans
gekommen. Sein Ehrgeiz ging dahin, dort ein Vermögen zu erwerben, um nach der Heimat zurück-
kehren zu können und die Wohlhabenheit wieder zu erlangen, die erschüttert war oder überhaupt
nicht mehr bestand.

Er hat uns sehr viele Male anvertraut, daß er da drüben ohne Mittel ans Land gestiegen sei
und daß er, um seine unmittelbaren materiellen Bedürfnisse zu decken, die verschiedensten Aus-
hilfsdienste habe annehmen müssen, die das Glück immer begleitet habe. Nachdem er die
Wälder durchstreift und urbar gemacht hatte, wurde er sehr schnell Besitzer eines ziemlich großen
Vermögens, verheiratete sich mit einer Französin, und ungefähr fünf oder sechs Jahre nach seiner
Verheiratung durfte er daran denken, nach Frankreich zurückzukehren. Ich war bereits empfangen,
der zweite Sproß der Verbindung, und meine Geburt stand bevor.

Die Seereisen waren damals lang und noch ein Wagnis. Es scheint, daß schlechtes Wetter
oder Gegenwinde das Schiff, das meine Eltern zurückführte, in die Gefahr brachten, seine Route
zu verlieren; ich wäre gern durch eine solche zufällige oder vom Schicksal verhängte Verzögerung
auf dem Meere geboren, auf das ich seitdem so oft, von den Felsen der Bretagne mit Schmerzen
hinausgeschaut habe: ein Platz ohne Vaterland über einem Abgrund.

Ich wurde dann zu einer Amme auf das Land gegeben, an einen Ort, der auf meine Kindheit
und meine Jugend und leider auch auf mein ganzes Leben von großem Einfluß gewesen ist. Die
Gegend war damals sehr wüst und wild; sie hat sich geändert; ich spreche von dem, was war.
Man fuhr damals dorthin mit der Diligence, sogar mit einem Ochsengespann; eine eintönige
Beförderung von ruhiger und einschläfernder Langsamkeit. Aber wenn der Geist frei und die
Augen munter waren, streckte man sich auf der Wagenbank aus, um nichts als die Landschaft
sanft und lieblich vorübergleiten zu sehen, kaum daß man sich vom Platze rührte, in dem dauernden
Zustand suggestiven Anschauens.

So legte man ohne Lärm und ohne die Aufregungen des modernen Reisens, ja sogar ohne
Anstrengung den langen und melancholischen Weg zurück, der sich endlos von Bordeaux bis
Laparre hinzieht, gerade und verlassen, eine einförmige von hohen Pappeln eingefaßte Linie, die
die unendliche Heide von Landes durchschneidet. Der Blick erstreckt sich hier bis zum Horizont,
über die Ginsterbüsche hin, wie über ein unendliches Meer von Erde — aber ohne den Schrecken
der Einsamkeit der Bretagne, die Öde ihres Strandes und die Trauer ihres Echos zu empfinden.
Man könnte meinen, daß sich in der keltischen Luft seit Alters her der Niederschlag der von
Tagen und Zeiten erfüllten menschlichen Seele angesetzt hat, gleichsam als Geist der Dinge.

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