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schöne Freiheit der in Ahornberg verlebten Jahre wollte ihm der Zwang des Gymnasiums, das
die Mutter ihn besuchen ließ, nicht munden. In den unteren Klassen kam er zunächst nicht recht
vorwärts, und so tat ihn die Mutter für ein Jahr zu einem Amtsgenossen seines Vaters nach dem
Landstädtchen Neustadt im Aischgrund. Die Freistunden dieser übrigens durchaus nicht rauhen
»Verbannungszeit« benutzte er dazu, einsame Wanderungen zu machen und nach der Natur zu
zeichnen. Allerlei literarische Versuche und naturwissenschaftliche Bemühungen gingen mit
jenen ersten künstlerischen Experimenten einträchtig Hand in Hand. Nach seiner Rückkehr ins
Erlangcr Gymnasium setzte er diese Liebhabereien mit Feuereifer fort. Neben der Kunst pflegte
er Botanik und Chemie mit Andacht. Der große Dachboden des Hauses, das er mit den Seinen
bewohnte, war ihm bald Atelier, bald Laboratorium. Auch wußte er in den naturwissenschaft-
lichen Vorlesungen der LTniversität dies und das aufzuhaschen. Der Schulunterricht selbst war
ihm nicht eben eine erfreuliche Angelegenheit. In seiner Erinnerung sind ihm heute die Schul-
jahre die »ödesten und trostlosesten« Jahre seines Lebens. Vom Wesen antiker Kultur und
Kunst gab ihm die Schule kaum eine wirklich lebendige Vorstellung. »Wenn ich«, sagte er
gelegentlich, »jetzt auch nur eine bescheidene griechische Münze in die Hand nehme, spüre ich
tausendmal mehr vom Geist der Antike als damals, als wir die antiken Autoren übersetzten . ..« '
Strahlte draußen vor den Fenstern der Schulstube an einem lichtblauen Himmel die Sonne, dann
war es ihm einfach unmöglich, dem Unterricht wirklich zu folgen, und hatte er am Abend irgend-
eine ereignisreiche Geschichte gelesen, so mußte seine bewegliche Phantasie noch auf Tage
hinaus damit sich beschäftigen, und von schulgerechter Aufmerksamkeit konnte während dieser
Zeit wieder nicht die Rede sein. — Sein frühentwickelter Landschaftssinn konnte in der viel-
gestaltigen Umgebung Erlangens reiche Nahrung gewinnen. Da gab es ein breites fruchtbares
Flußtal mit dem Sehnsuchtsreiz zartblauer Bergfernen, die in feinbewegten Umrissen gegen einen
hohen Himmel sich abzeichneten, da gab es stundenlang sich hindehnende Föhrenwälder, in
denen einsame Weiher in großer Zahl aufleuchteten, da gab es ein formenreiches Gebirgsvorland
mit lieblichen Wiesengründen und oft auf freien Höhen gelegenen Dörfern von wohlbewahrter
alter Bauart. Zu seinen ersten künstlerischen Eindrücken gehörten die, welche Radierungen von
Rembrandt ihm boten. Die Blätter packten ihn so, daß er sie mit der Feder sorgsam nachzeichnete.
Gerade Rembrandt aber sollte für sein graphisches Schaffen noch von größter Wichtigkeit werden.
Im Alter von achtzehn Jahren sah er die ersten Gemälde. Als er aus den Räumen, wo sie hingen,
wieder auf die Straße trat, fehlte nicht viel, daß er von der elektrischen Bahn überrannt wurde:
so sehr waren seine Sinne von den erhaltenen Eindrücken gefangen genommen, daß er die Läute-
signale ganz überhört hatte.

Nachdem er das Einjährigenexamen bestanden, wäre er auf den Rat des damaligen Direktors
der Nürnberger Kunstgewerbeschule, Professor Hammers, dem er Zeichnungen vorlegte, sehnlich
gern von der Schule abgegangen und Maler geworden. Allein der Zeichenlehrer des Gymnasiums
in Erlangen glaubte der ihn um Rat fragenden Mutter Schinnerers von einer solch »gefährlichen«
Berufswahl ihres Sohnes mit allem Nachdruck abraten zu müssen.

So blieb er denn bis zur Abgangsprüfung auf der Schule. Mit dem festen Entschluß, die
Malerei zum Lebensberuf zu machen, zog er dann nach München. Seiner besorgten Mutter
zuliebe aber, die gern gesehen haben würde, wenn er sich einem Studium zugewendet hätte, das
ihm die sichere Gewähr für eine sorgenfreie Zukunft verbürgte, belegte er in der Universität
Vorlesungen der philosophischen Fakultät. Er besuchte namentlich Kollegien über Kunstgeschichte

' Vergl.: Alfred Graf. Schulerjahre. Erlebnisse und Urteile namhafter Zeitgenossen. Berlin, 1912. Seile 305.

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