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DREI JUNGE SCHWEIZER.

Wenn Schiller das vollkommenste Kunstwerk den Bau einer wahren politischen Freiheit nennt,
so mag dies Wort dem seinem Geschicke blind vertrauenden Volke recht abstrakt und unfruchtbar
vorgekommen sein. Wahre politische Freiheit erringt der Einzelne, indem er sich mit den inneren
und äußeren Existenzen tausend fremder Menschen auseinandersetzt, sie zu begreifen sucht. Wir
müssen unser Bestes schneller einander öffnen und öfter, damit der seelische Umsatz den öko-
nomischen Kampf der Klassen, den erotischen der Geschlechter warm durchdringt. Erzielt wird
so ein Gefühl des Miterlebens, das ständig pulsiert, richtet, entscheidet und hilft. Wer aber sind
die fruchtbaren Agitatoren des Gefühls, der liebenden Erkenntnis? Wer sind die vom Schicksal
Genötigten, ihr Geheimstes aufzubrechen und zu erzählen? Die Künstler. Jedes ihrer Werke gilt
einen Blutstropfen im Liebeskreislauf des sich erst bildenden Organismus der Menschheit, der
durch den Weltkrieg in das psychotische Aufwellen der Revolution versetzt wurde. Wann wird
der Geist endlich wieder atmen, wann sich über die blöde Tyrannis des Nahrungskampfes erheben?
Wer wird die erschreckten, ungläubigen und verrohten Völker vom Materialismus retten, ohne
Selbstliebe und Selbstnutzen? Die Kunst, denn sie verkündet ohne Vorurteil das Lebendigste und
blüht heute schon als weitherzig keimende Religion des sich verbrüdernden Europa.

Die Schweiz, welche als neutrale Insel im europäischen Sturme lag, wurde zur Mutter, die ihre
Künstler in Schutz nahm. Die Guten unter ihnen litten furchtbar an der moralischen Ohnmacht,
dem blutigen Wahnsinn gleichsam als Zuschauer still sich zu unterwerfen. Während die Künstler
der kriegführenden Nationen in das scheußlichste Chaos der Wirklichkeit gezerrt wurden, das
als ätzendes Nervengericht sie entweder zerstörte oder zu neuen Geistern formte, die nach
dem Umbau der Welt schluchzten, so umschloß uns das größte Unglück draußen wie mit einer
chinesischen Mauer. Freunde und Brüder, Arbeiter am gleichen Werke, zerfleischten sich und
das immer wachsende Bewußtsein ungeheuerster Vernichtung drang ins Innere unserer Künstler,
entzündete ihre persönlichen Probleme mit überstürzender Affekthitze, riß sie in Tiefen, wo das
Ich oftmals erlosch und die gestaltende Hand grob erschüttert wurde. Die Menschheit klagte in
unseren untätigen Herzen (bis jetzt daran gewöhnt, das Schicksal von Wenigen zu tragen) und
drohte, uns zu brechen. Konnten einzelne Dichter dem Sturm des Chaos standhalten mit wissendem
prospektivem Geist, so flutet der mächtige Schatten durch die Werke der jüngeren Maler, ob sie
seine Herkunft wußten oder nicht. Bleiben sie doch Teilhaber der Weltseele und ihre zeitlichen
Untertanen. Noch nicht ihre Gestalter, wohl aber ihr Sprachrohr, ihre stillen Erklärer und gerechten
Historiker.

Die drei jungen Schweizer: Fritz Pauli, Otto Baumberger und Ignaz Epper vertreten verschieden-
artig diesen schweizerischen Zeitgeist der betrachtenden Passivität.

Fritz Pauli wurde am Auffahrtstag 1891 in Bern geboren. Die Hand des Zeichners erwacht
und übt sich, bevor das Gedächtnis die Kraft hat, diesen Beginn zu vermerken. Sein hypochondrisch

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