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HANDZEICHNUNGEN DES XIX. JAHRHUNDERTS AUS DER
SAMMLUNG PAUL V. MAJOVSZKY.

ii.*)

Die Abteilung deutscher Handzeichnungen der Sammlung v. Majovszky ist weniger reich
und nicht so überraschend wie die französische, obwohl auch sie eine schöne Reihe von Kapital-
stücken aufweist und die großen Meister des Jahrhunderts in ihr fast vollzählig vertreten sind. Das
organische Sammeln deutscher Handzeichnungen ist keine leichte Aufgabe, da die vielen großen
und kleinen Museen Deutschlands schon seit längerer Zeit wenigstens die in engerem Sinne
heimatlichen Zeichnungen in ihre Bestände aufnehmen und Hand in Hand damit auch die private
Beteiligung sich reger gestaltet als in Frankreich. Die Konkurrenz ist daher viel schärfer, der
Vorrat dagegen infolge der schon in Museen festgelegten Mengen viel geringer als drüben. Dazu
kommt, daß sich aus französischen Zeichnungen des XIX. Jahrhunderts überhaupt viel leichter
eine historisch geschlossene Sammlung bilden läßt als aus den gleichzeitigen deutschen.

Die französische Kunst des XIX. Jahrhunderts ist fast autochthon zu nennen. Sie baut
sich folgerichtig auf und wirkt in ihrer Gänze wie ein streng komponiertes, wohlabgewogenes
Kunstwerk. Jede Generation ist nur auf der Grundlage der vorangegangenen denkbar, und jeder
einzelne Künstler, auch der zweiten Grades, hat in diesem logischen Gefüge seinen unverrückbaren
Platz, wo er seine historische Aufgabe erledigt. Dieses autochthone, folgerichtige Aus-sich-Heraus-
wachsen fehlt der modernen Kunst aller übrigen Völker, auch der deutschen. Die französische
Kunst hat in Paris einen ungemein fördernden geistigen Mittelpunkt besessen, für die deutsche
bedeutet München oder Berlin bis Ende des Jahrhunderts kaum mehr als den zufälligen Aufent-
haltsort einzelner Künstler. Es fehlt der deutschen Kunst im XIX. Jahrhundert nicht an den
Franzosen ebenbürtigen großen Geistern, nicht an der langen Reihe von tüchtigen Talenten,
sondern an der einheitlichen Entwicklung. Jede Generation fängt fast von neuem an und holt ihre
frischen Anregungen aus Paris oder aus Rom. Diese beiden Quellen der Inspiration bezeichnen
zugleich die zwei Hauptströmungen der deutschen Kunst des Jahrhunderts: die malerisch-natu-
ralistische und die plastisch-idealistische.

Die Doppellinie der Entwicklung, der Kampf zwischen Naturalismus und Idealismus, ist ja
auch in der französischen Kunst dieses Zeitraumes erkennbar, doch steht dort der stilsuchende
Idealismus den naturalistischen Errungenschaften nicht so fremd gegenüber wie in Deutschland.
Der deutsche Idealismus stellt sich der par excellence malerischen Orientierung des Jahrhunderts
feindselig entgegen, wird oft heimat-, ja weltfremd, sucht sein Heil zuerst in der reinen Linie und

*) Siehe den ersten Teil des Aufsatzes auf S. 1 ff. dieses Jahrganges.

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