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DIE BÖHMISCHE MALERSCHULE
Berliner Museums (Abb. io) ist das kostbarste Juwel dieses frühen Stiles böhmi-
scher Malerei. Ein leidenschaftliches Temperament bekundet sich in dem Aus-
druck heftigen Schmerzes auf der einen, viehischer Roheit auf der anderen Seite.
Aber es erscheint gebändigt in dem edlen Gleichmaß einer rhythmischen Linien-
führung wie der zarten Färbung und der emailartig vertriebenen Malerei.
In einem solchen Werke berührt sich die böhmische aufs engste mit der
gleichzeitigen französischen Malerei. Nur in einem allgemeinen Sinne setzt
sie bereits auf dieser frühen Stilstufe die Kenntnis der voraufgehenden ita-
lienischen Kunst voraus. Ihre Meister trugen nicht aus dem Süden, sondern aus
dem Westen die italienischen Kompositionsformen nach ihrer böhmischen Heimat.
Erst in der Folgezeit gewinnt der Stil des italienischen Trecento entschei-
denden Einfluß in Böhmen. Sendboten des Südens trugen selbst die Kenntnis
toskanischer Formen über die Alpen. Wie in Avignon erst ein zweiter Stil
auf solche unmittelbare Berührung mit italienischer Kunst sich gründet, so
in Prag. Und wie dort Simone Martini, so wurde hier Tommaso da Modena
zum Schöpfer einer neuen Malerei. Unter seinem Einfluß entwickelte sich,
da er nach Prag berufen wurde, eine eigene Malerschule in Böhmen.
Große Aufgaben waren den Künstlern gestellt. Die Burg Karlstein, Karls IV.
Lieblingsschöpfung, sollte mit Gemälden geschmückt werden. Nikolaus Wurmser
und Theoderich von Prag waren nacheinander tätig. Der Anteil beider läßt sich
nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Aber man wird nicht fehlgehen in der
Annahme, daß der junge einheimische Meister Theoderich unter dem Eindruck
der Werke Tommasos eher den Weg zu der neuen Art gefunden habe als der
Straßburger Nikolaus Wurmser, dessen Schöpfungen der Hohenfurther Passion
nahegestanden haben mögen.
Die plastisch erfundenen Halbfiguren von Heiligen in Karlstein (Abb. 4) wären
an ihrem Orte ein unbegreifliches Wunder, hätten sie nicht in weiter Entfernung
ihre unmittelbaren Vorläufer in den Bildern der vier Evangelisten des Tommaso
da Modena, die in Treviso erhalten sind. Kein anderer als derselbe Tommaso
gab in Karlstein die Anregung zu dem eigenartigen Bilderschmuck und wurde
der Begründer einer Malerschule, die im Westen nicht mehr ihr unmittelbares
Gleichnis findet, und die darum trotz ihrer italienischen Herkunft mit mehr
Recht als jede andere die böhmische heißen darf.
Von der flächigen Figurenbildung der gotischen Malerei bis zu diesen ener-
gisch plastisch gebildeten Halbfiguren war ein weiter Weg in kurzer Zeit durch-
messen. Die Figuren stehen einzeln vor dem Grunde. Waren sie früher selbst
ein Teil der Fläche, so sind sie ihr nun in starker Plastik aufmodelliert,
DIE BÖHMISCHE MALERSCHULE
Berliner Museums (Abb. io) ist das kostbarste Juwel dieses frühen Stiles böhmi-
scher Malerei. Ein leidenschaftliches Temperament bekundet sich in dem Aus-
druck heftigen Schmerzes auf der einen, viehischer Roheit auf der anderen Seite.
Aber es erscheint gebändigt in dem edlen Gleichmaß einer rhythmischen Linien-
führung wie der zarten Färbung und der emailartig vertriebenen Malerei.
In einem solchen Werke berührt sich die böhmische aufs engste mit der
gleichzeitigen französischen Malerei. Nur in einem allgemeinen Sinne setzt
sie bereits auf dieser frühen Stilstufe die Kenntnis der voraufgehenden ita-
lienischen Kunst voraus. Ihre Meister trugen nicht aus dem Süden, sondern aus
dem Westen die italienischen Kompositionsformen nach ihrer böhmischen Heimat.
Erst in der Folgezeit gewinnt der Stil des italienischen Trecento entschei-
denden Einfluß in Böhmen. Sendboten des Südens trugen selbst die Kenntnis
toskanischer Formen über die Alpen. Wie in Avignon erst ein zweiter Stil
auf solche unmittelbare Berührung mit italienischer Kunst sich gründet, so
in Prag. Und wie dort Simone Martini, so wurde hier Tommaso da Modena
zum Schöpfer einer neuen Malerei. Unter seinem Einfluß entwickelte sich,
da er nach Prag berufen wurde, eine eigene Malerschule in Böhmen.
Große Aufgaben waren den Künstlern gestellt. Die Burg Karlstein, Karls IV.
Lieblingsschöpfung, sollte mit Gemälden geschmückt werden. Nikolaus Wurmser
und Theoderich von Prag waren nacheinander tätig. Der Anteil beider läßt sich
nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Aber man wird nicht fehlgehen in der
Annahme, daß der junge einheimische Meister Theoderich unter dem Eindruck
der Werke Tommasos eher den Weg zu der neuen Art gefunden habe als der
Straßburger Nikolaus Wurmser, dessen Schöpfungen der Hohenfurther Passion
nahegestanden haben mögen.
Die plastisch erfundenen Halbfiguren von Heiligen in Karlstein (Abb. 4) wären
an ihrem Orte ein unbegreifliches Wunder, hätten sie nicht in weiter Entfernung
ihre unmittelbaren Vorläufer in den Bildern der vier Evangelisten des Tommaso
da Modena, die in Treviso erhalten sind. Kein anderer als derselbe Tommaso
gab in Karlstein die Anregung zu dem eigenartigen Bilderschmuck und wurde
der Begründer einer Malerschule, die im Westen nicht mehr ihr unmittelbares
Gleichnis findet, und die darum trotz ihrer italienischen Herkunft mit mehr
Recht als jede andere die böhmische heißen darf.
Von der flächigen Figurenbildung der gotischen Malerei bis zu diesen ener-
gisch plastisch gebildeten Halbfiguren war ein weiter Weg in kurzer Zeit durch-
messen. Die Figuren stehen einzeln vor dem Grunde. Waren sie früher selbst
ein Teil der Fläche, so sind sie ihr nun in starker Plastik aufmodelliert,