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DIE BÖHMISCHE MALERSCHULE 17

richten die vielfältigen Beziehungen der kaiserlichen Residenz mit dem Hof-
halt der Päpste. Karl IV. selbst weilte zweimal in Avignon. Der Bischof Johann
von Drazik, der fast zehn Jahre am päpstlichen Hofe verbracht hatte, ließ sich
im Jahre 1329 nach seiner Rückkehr einen Palast errichten, dessen Beschreibung
die Erinnerung an die Paläste Avignoneser Kardinäle weckt, und er brachte
eine kostbare Sammlung bildergeschmückter Handschriften mit sich, gewiß
nicht die einzigen Dokumente südfranzösischer Malerei, die zu jener Zeit den
weiten Weg nach dem Osten machten.
So kann es nicht wundernehmen, daß die frühesten Denkmäler böhmischer
Malerei sich unmittelbar dem von Siena befruchteten Stile Avignoneser Kunst
anschließen, mit dem sie Kompositionstypen wie künstlerische Problemstellung
verbinden. Unmittelbare Analogien finden sich in westlichen Gegenden, und
man muß sich hüten, sie dort auf böhmischen Einfluß zurückführen zu wollen,
nur weil der Stil in Prag durch eine größere Zahl von Werken besser belegt
ist. Es wäre falsch, schon in dieser Frühzeit von einem böhmischen Stil im
weiteren Sinne des Wortes zu sprechen. Die Kompositionen sind Gemeingut
der Zeit, und in der sienesischen Malerei finden sich die Motive, die allen
Neuschöpfungen zugrunde liegen.
Eine Bilderfolge der Stiftskirche zu Hohenfurth (Abb. 7) mit Darstellungen
aus dem Leben Christi ist das wichtigste unter den frühesten Denkmälern
böhmischer Tafelmalerei. Die Glatzer Madonna (Abb. 8) schließt sich an, sie
gibt, durch die Persönlichkeit ihres Stifters zeitlich zwischen 1344 und 1364
festgelegt, der Gruppe die chronologische Stellung.
Die Farbengebung der Glatzer Madonna mit ihren lichten, zarten Tönen,
die an Fresken des italienischen Trecento gemahnt, deutet ebenso auf die Her-
kunft der Kunst ihres Meisters wie die Form der Architekturmotive und die
Kosmatenarbeit, die sie schmückt. In der sienesischen Kunst waren ähnlich
komplizierte Thronbauten gebräuchlich. Wie in Duccios Werk, so wird in der
Hohenfurther Passion beinahe pedantisch die Grundrißkonstruktion einer kom-
positionellen Anordnung erprobt. Gehäuse bauen sich um die Figuren. Eine
Hütte der Geburt ist nun mehr als nur ein ideales Gerüst. Sie deutet die Ört-
lichkeit des Vorganges. Der entscheidende Schritt zur Neubegründung der
Darstellung im Sinne freier Wirklichkeitsschilderung ist schon hier getan. Aber
noch hält die eigene Tradition gotischer Zeichenkunst dem fremden Einfluß die
Wage. Noch legen die Formen in der Fläche sich auseinander, und die Körper
scheinen mehr getragen von dem starken Gefühl, das sie beseelt, als von der
rationell verstandenen Funktion ihrer Glieder. Ein kleines Kreuzigungsbild des

Glaser, Die Altdeutsche Malerei.
 
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