Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS SPÄTGOTISCHE BAROCK

Der unmittelbare Einfluß der Kunst des Rogier und Bouts verebbte im Aus-
gang des dritten Viertels des 15. Jahrhunderts. Die ältere Generation der
Meister, die selbst auf der Wanderfahrt in den Niederlanden die neue Lehre
empfangen hatten, wirkte schulbildend im engeren Kreise der heimatlichen Werk-
stätten. Eine deutsche Malerei wuchs heran, aber sie zersplitterte zugleich in
mannigfachen lokalen Stilformen, da die persönliche Handschrift der Meister
eine Tradition begründete, die sich im Rahmen der spezifischen Charakter-
eigenschaften des Stammes auswirkte. Seitdem die Züge gemeinsamer Herkunft
sich zu verwischen beginnen, tritt der landschaftliche Typus bestimmend her-
vor. Deutlicher scheidet sich die Eigenart des Franken und Schwaben und
Bayern, des Rheinländers und des Westfalen in der spezifischen Formenbildung
ebenso wie in der typischen Bildung der Menschen, deren Nachfahren man
noch heute an den Schaffensstätten der alten Meister zu begegnen meint.
Es war die Schwäche, aber es war auch die Stärke der deutschen Malerei,
daß ihr die vornehme Geschlossenheit abging, die das Kennzeichen der alt-
niederländischen Kunst ist. Der Deutsche hat über der weiteren niemals die
engere Heimat vergessen, und die kulturelle Entwicklung des ausgehenden
Mittelalters kam dem Willen zu eigenbrötlerischem Abschluß in kleinen Ge-
meinschaften entgegen.
Die deutsche Nation hatte aufgehört, als eine Einheit zu bestehen, das
deutsche Reich war in eine Reihe selbständiger Staaten zerfallen, deren Bürgern
es an einem weiteren Horizont fehlen mußte. Das große geschichtliche Leben
der Zeit zog seine Kreise außerhalb des deutschen Landes, dessen Kräfte sich
im Innern verbrauchten, ohne nach außen wirksam zu werden. Es gab während
des 15. Jahrhunderts in Deutschland keine Fürstenhöfe, an denen sich die
kulturellen Strömungen hätten sammeln können, um sich zu gegenseitiger
Befruchtung miteinander zu vermischen und rückstrahlend über das Land sich
auszubreiten. Alle Kräfte wurden in den Städten aufgespeichert, die zu Reich-
tum und Macht gelangten. Hier fanden die Künstler Beschäftigung in den
großen Kirchen, die der fromme Eifer der eingesessenen Patriziergeschlechter
zu eigenem Ruhm und Gottes Ehre mit zahlreichen Altären zu schmücken
trachtete. Hier bildeten sich die großen Werkstätten, in denen Kunst nicht wie
 
Annotationen