Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
208

DAS SPÄTGOTISCHE BAROCK

an den Höfen der italienischen Fürsten der Zeit als höchste Übung schöpfe-
rischen Geistes, sondern als ein bürgerliches Handwerk betrieben wurde.
Engherzige Zunftregeln sorgten für ängstliche Absperrung der künstlerischen
Arbeit gegen den Wettbewerb stadtfremder Meister und förderten so die Ver-
kapselung in Lokalschulen, deren Stil als die gemeinsame Schöpfung durch
Rasse, Milieu und Gewohnheit verbundener Meister erscheint, wie der Altar
als das Produkt genossenschaftlicher Zusammenarbeit der Werkstätten.
So werden die Charakterzüge einer schwäbischen, fränkischen, bayerischen
Malerei deutlicher faßbar als die einer gemeinsamen deutschen Kunst, und
eher kenntlich als die Erscheinungen einzelner klar umschriebener Persönlich-
keiten. Die Vorstellung von der Art eines Meisters versinkt in dem Allgemein-
begriff eines örtlichen Stiles, ohne daß es möglich wäre, im einzelnen Falle den
individuellen Anteil selbst der führenden Persönlichkeiten eindeutig zu bestimmen.
Die Überlieferung bewahrte eine Reihe von Namen, und einzelner Meister
Gestalt zeichnet sich deutlicher vor dem Hintergründe gemeinsamer Stilform
ab. Aber schwerlich läßt sich der Anteil im einzelnen abgrenzen, den Wol-
gemut an der Bildung der nürnbergischen, Zeitblom der ulmischen, Holbein
der augsburgischen Malerei genommen hat. Es scheint, daß sie ebenso dem
eigenen Stilwollen wie dem Ausdrucksbedürfnis ihres Stammes Form gegeben
haben. Nicht mehr ein beherrschender Zeitstil bildet den überall gemeinsamen
Nenner, auf den jede künstlerische Äußerung einer Generation sichzurückführen
läßt, sondern innerhalb einer nur noch lose verbindenden Stilform treten die
Charakterzüge lokaler Sonderbildungen entscheidend in den Vordergrund.
Ein für alle Teile Deutschlands bindender Stilbegriff, dem die Entwicklung
der letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts unterzuordnen wäre, läßt sich nicht
finden. In selbständiger Weiterbildung werden auf dem Boden der Voraus-
setzungen, die der niederländische Einfluß in Deutschland gezeugt hatte, Folge-
rungen verschiedener und oft gegensätzlicher Art gezogen. Ein krauses spät-
gotisches Barock, für das die Überspitzung der einzelnen Form ebenso charak-
teristisch ist wie eine aller Übersichtlichkeit und Schaubarkeit spottende Ver-
schränkung der Komposition gibt der Zeit das Gepräge, aber als sein Wider-
spiel erscheint zur gleichen Stunde ein gotischer Klassizismus — wenn es
erlaubt ist, diesen widerspruchsvollen Begriff zu bilden. Wird auf der einen
Seite erst jetzt die edle Geste Rogierscher Kunst völlig verstanden, so wird
auf der anderen der heftige Überschwang gotischen Gefühlsausdrucks mit den
Mitteln der neuen Kunst in ein aufgeregtes Formenchaos umgedeutet.
Die barocke Umbildung der gotischen Form ist die ureigenste Tat deutscher
 
Annotationen