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NACHWORT

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts endet das goldene Zeitalter deutscher
Kunst. Es ist gesagt worden, daß es noch deutsche Maler gab nach dieser
Zeit, aber nicht mehr eine deutsche Malerei. Mannigfache Erklärungen suchen
dieses eigentümliche Versiegen eines starken und breiten Stromes zu deuten.
Es ist auf die politischen, sozialen und religiösen Verhältnisse hingewiesen
worden, auf die Zerstörung der Kunstwerke im Bilderstürme, das Ende der
Selbständigkeit deutscher Nation und die Zersetzung der alten bürgerlichen
Kultur. All das ist gewiß wahr. Aber es trifft kaum den Kern der Frage.
Es hat der deutschen Kunst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht an
Persönlichkeiten gefehlt. Freilich, den Großmeistern der ersten Jahrzehnte war
keine würdige Nachfolge beschieden. Aber auch in Italien ward kein Raffael,
kein Lionardo, kein Michelangelo mehr geboren. Und anderseits war an Talenten
vom Ausmaß der Meister, die im 15. Jahrhundert deutsche Malerei repräsen-
tierten, auch in der Folge kein Mangel. Namen wie Tobias Stimmer und
Christoph Schwarz, Hans von Aachen und Johann Rottenhammer haben einen
guten Klang, und es wäre sehr unrecht, sie geringer einzuschätzen als die
Multscher und Pleydenwurff, Herlin und Strigel im 15. Jahrhundert. Aber ihr
Schaffen schließt sich nicht zu einer neuen nationalen Tradition, die es recht-
fertigen würde, noch fernerhin von deutscher Kunst zu reden wie im Zeitalter
Dürers und Grünewalds, Cranachs und Holbeins.
Man hat sich gewöhnt, die Meister des späteren 16. Jahrhunderts mit einem
Namen, der des abschätzigen Untertones nicht entbehrt, als die Manieristen
zu bezeichnen. Der komplizierte Prozeß einer Stilentwicklung, der aus der
klaren Höhenluft der Hochrenaissance in die neue Welt des Barock hinüber-
führt, wird durch die Begriffsbestimmung des Wortes Manierismus in keiner
Weise gedeutet, und es wäre eine lohnende Aufgabe, der entwicklungsgeschicht-
lichen Funktion dieser höchst wundersamen und artistisch verfeinertsten Epoche
europäischer Kunst nachzugehen, die in den Handbüchern gewöhnlich allzu
kurz und als eine Zeit tiefen Verfalls geschildert wird. Aber eine Geschichte
des Manierismus läßt sich nicht im Rahmen einer Geschichte deutscher Malerei
allein schreiben, denn sie ist in viel höherem Maße eine allgemeineuropäische
Angelegenheit als irgend eine frühere Stilform bis hinauf in die Blütezeit
gotischer Zeichenkunst.
Dies ist der eine Grund, warum eine Geschichte altdeutscher Malerei vor
der Mitte des 16. Jahrhunderts haltzumachen gezwungen ist. Aber der eine
Grund allein würde nicht genügen, denn die nationale Selbständigkeit einer
 
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