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NACHWORT

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Kunstsprache wird nicht ohne weiteres durch die Stilgemeinschaft mit gleich-
zeitiger Formenbildung benachbarter Länder in Frage gestellt. Die Meister,
die nach der Mitte des 15. Jahrhunderts dem neuen Stil, der in den Nieder-
landen entstanden war, in Deutschland den Boden bereiteten, sind nicht zu
verstehen ohne die Voraussetzung der Kunst des Rogier und Dirk Bouts.
Aber sie sind Mitschaffende am Werke einer gemeinsamen Kunstsprache und
übersetzen, was sie in der Fremde lernten, in deutsche Mundart. So über-
mittelten sie denen, die nach ihnen kamen, ein brauchbares Werkzeug, und als
um die Wende des 16. Jahrhunderts eine glänzende Blütezeit europäischer
Kunst einsetzte, stand Deutschland in der vordersten Reihe.
Das wurde anders, als aus der Knospe des Manierismus die Blüte des
Barock sich entfaltete. Keine Zeit ist reicher gewesen an malerischen Kräften
als das beginnende 17. Jahrhundert. Niemals hatte eine solche Fülle des Er-
lebens und Gestaltens sich aufgetan wie in dem Zeitalter, das in Italien von
den Carracci und Caravaggio über Reni und Domenichino bis zu Guercino
hinabreicht, das in den Niederlanden eine Schar von Meistern unter dem Zwei-
gestirn Rubens und Rembrandt vereint, das in Spanien Velasquez und Murillo,
in Frankreich Poussin und Claude Lorrain am Werke findet. Deutschland
allein blieb stumm, hatte keinen Meister diesen Großen zur Seite zu stellen.
Hier allein fehlt dem Stil der Manieristen seine natürliche Erfüllung in einer
barocken Kunst, wie sie in den anderen Ländern Europas sich entfaltete.
Deutschland tritt weit zurück in den Schatten neben dem glänzenden Auf-
stieg der Malerei in den Niederlanden. Man müßte den Rahmen weiter spannen
über die Grenzen politischer Staatenbildung hinaus und den Begriff germa-
nischer Kunst nicht in deutsch-nationalem Sinne fassen, um ihre Geschichte
von der ersten Höhe des 16. zu der zweiten des 17. Jahrhunderts zu verfolgen
und die Wege zu weisen, die von Dürer und Holbein zu Rubens, von Grüne-
wald und Altdorfer zu Rembrandt hinführen.
Dürers Stil war unter italienischer Sonne von jugendlicher Romantik zu
männlicher Klassik gereift. Das Schicksal hatte ihn bestimmt, die große Ab-
rechnung zu vollziehen an einem Wendepunkte der Zeiten. Aber dem Erbe,
das er hinterließ, war keiner seiner nächsten Schüler wahrhaft gewachsen. In
anderem Lande ward um ein Jahrhundert später in der Kunst des Rubens
seiner frühen Sehnsucht die glänzende Erfüllung einer strahlenden Meisterschaft
aus reicher Fülle quellenden Schaffens. Die sorglich gehütete Pflanze südlicher
Formenkunst, der er unter nordischem Himmel den Boden bereitete, ist zu
einem starken und mächtigen Baume erwachsen.
 
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