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ALBRECHT ALTDORFER
in die freie Tiefenrichtung eingegangen. Und über Pacher führt der Weg
zurück zu Mantegna, von ihm zu dem alten Jacopo Bellini und weiter hinauf
in jenen Kunstkreis, dem Lucas Moser entstammte. So reichen zwei Zeiten
einander die Hände, und Altdorfer wird zum endlichen Erfüller uralten Kunst-
wollens in Deutschland. Er ist der erste Meister der Landschaftsmalerei. Nicht
weil unter seinen Gemälden sich eines findet, das ohne Staffage ein Stück
unbelebter Natur zu geben wagt, sondern weil er als erster den Menschen
wie in der Wirklichkeit als ein Wesen unter anderen sieht, als einen winzigen
Punkt in dem unendlichen All.
Der Eindruck von Pachers Werk, dem Altdorfer begegnet sein mag, als
ihn im Jahre 1511 eine Reise donauabwärts in die Alpenländer führte, wird
in der Kunst des Regensburger Meisters deutlich erkennbar. Hier waren die
Grundlagen der neuen Raumanschauung gegeben, hier bereitete sich die neue
Einstellung vor, in der sich der hundertjährige Entwicklungsprozeß vollenden
sollte. Der Mensch, der ehedem im Zentrum der bildlichen Darstellung ge-
standen hatte, tritt in den Hintergrund. Die Umwelt, die nur als Begleitung
in den sparsamen Kulissen der Mysterienbühne Eingang in den dramatischen
Bildaufbau gefunden hatte, wird nun zum Hauptmotiv bildlicher Gestaltung.
Die Kunst macht Ernst mit der Auffassung des Bildes als Ausschnitt der
Wirklichkeit. Noch in seiner ersten Darstellung der Geburt Christi vom
Jahre 1507 (Abb. 292) war Altdorfer von dem uralten Schema des Motivs der
Anbetung des Kindes durch die kniende Mutter ausgegangen, der Raum öffnete
sich hinter den Menschen, nahm sie nicht in sich auf. Wenige Jahre später
war der entscheidende Schritt getan (Abb. 293). Nun ist das Gemäuer der
verfallenden Ruine eher da als die Menschen, die in ihm sich bewegen, ist das
Licht eher da als die Dinge, die es bescheint. Die dramatische Szenerie löst
sich in den romantischen Stimmungszauber lyrischer Empfindsamkeit.
Diese entscheidende Wendung, die in der Biographie Altdorfers auf das
Erlebnis einer Reise zurückgeführt wird, ist in Wahrheit das säkulare Ereignis,
das sich in seiner Kunst wohl am sichtbarsten, aber durchaus nicht in ihr
allein auswirkt. Mit solchen Gedanken stand Altdorfer in Oberdeutschland im
ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts keineswegs isoliert. In Dürers Kupfer-
stichen und Holzschnitten finden sich Versuche, die sich in der gleichen
Richtung bewegen. Aber Dürers gestochene Weihnacht hat etwas Kaltes in
ihrer perspektivischen Konstruktion, und im Tafelbilde ging der Meister kaum
ein auf Versuche solcher Art. Altdorfer empfand nicht das Bedürfnis formaler
Klärung, das Dürer stets leitete. Seine Kunst ist früher fertig als sein Können.
ALBRECHT ALTDORFER
in die freie Tiefenrichtung eingegangen. Und über Pacher führt der Weg
zurück zu Mantegna, von ihm zu dem alten Jacopo Bellini und weiter hinauf
in jenen Kunstkreis, dem Lucas Moser entstammte. So reichen zwei Zeiten
einander die Hände, und Altdorfer wird zum endlichen Erfüller uralten Kunst-
wollens in Deutschland. Er ist der erste Meister der Landschaftsmalerei. Nicht
weil unter seinen Gemälden sich eines findet, das ohne Staffage ein Stück
unbelebter Natur zu geben wagt, sondern weil er als erster den Menschen
wie in der Wirklichkeit als ein Wesen unter anderen sieht, als einen winzigen
Punkt in dem unendlichen All.
Der Eindruck von Pachers Werk, dem Altdorfer begegnet sein mag, als
ihn im Jahre 1511 eine Reise donauabwärts in die Alpenländer führte, wird
in der Kunst des Regensburger Meisters deutlich erkennbar. Hier waren die
Grundlagen der neuen Raumanschauung gegeben, hier bereitete sich die neue
Einstellung vor, in der sich der hundertjährige Entwicklungsprozeß vollenden
sollte. Der Mensch, der ehedem im Zentrum der bildlichen Darstellung ge-
standen hatte, tritt in den Hintergrund. Die Umwelt, die nur als Begleitung
in den sparsamen Kulissen der Mysterienbühne Eingang in den dramatischen
Bildaufbau gefunden hatte, wird nun zum Hauptmotiv bildlicher Gestaltung.
Die Kunst macht Ernst mit der Auffassung des Bildes als Ausschnitt der
Wirklichkeit. Noch in seiner ersten Darstellung der Geburt Christi vom
Jahre 1507 (Abb. 292) war Altdorfer von dem uralten Schema des Motivs der
Anbetung des Kindes durch die kniende Mutter ausgegangen, der Raum öffnete
sich hinter den Menschen, nahm sie nicht in sich auf. Wenige Jahre später
war der entscheidende Schritt getan (Abb. 293). Nun ist das Gemäuer der
verfallenden Ruine eher da als die Menschen, die in ihm sich bewegen, ist das
Licht eher da als die Dinge, die es bescheint. Die dramatische Szenerie löst
sich in den romantischen Stimmungszauber lyrischer Empfindsamkeit.
Diese entscheidende Wendung, die in der Biographie Altdorfers auf das
Erlebnis einer Reise zurückgeführt wird, ist in Wahrheit das säkulare Ereignis,
das sich in seiner Kunst wohl am sichtbarsten, aber durchaus nicht in ihr
allein auswirkt. Mit solchen Gedanken stand Altdorfer in Oberdeutschland im
ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts keineswegs isoliert. In Dürers Kupfer-
stichen und Holzschnitten finden sich Versuche, die sich in der gleichen
Richtung bewegen. Aber Dürers gestochene Weihnacht hat etwas Kaltes in
ihrer perspektivischen Konstruktion, und im Tafelbilde ging der Meister kaum
ein auf Versuche solcher Art. Altdorfer empfand nicht das Bedürfnis formaler
Klärung, das Dürer stets leitete. Seine Kunst ist früher fertig als sein Können.