Fast wörtlich findet sich bei Plotin (I. Enn. lib. 6.) der Inhalt des
Goethe’schen Gedichts:
Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnt es Sonnenlicht erblicken,
Wär nicht in uns des Gottes Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken.
Auch der rätselhafte Schlußgesang im Faust: Das ewig Weibliche
zieht uns hinan wirkt durchaus nicht rätselhaft, wenn uns die Schön-
heitslehre der Neuplatoniker nicht länger verborgen bleibt.
Ergreifend ist es gewiß, daß ihr Schönheitsglaube, der Schönheits-
glaube, für den die Platonschülerin Hypatia in Alexandria den
Märtyrertod starb, nie ganz erstickt wurde, bald in diesem, bald
in jenem Land unter den verschiedensten Formen auflebte und im
Gemüt der größten deutschen Dichter Wiedergeburt fand.
Eine vornehme Aufgabe ist es, diesen uns anvertrauten Schatz
verständnisinnig zu hegen als unveräußerlichen Besitz.
Was bedeutet der Spruch, den Goethe Plotin entnahm, das Schöne
sei höher als das Gute?
Platon und Aristoteles hatten Schönes und Gutes kaum getrennt.
Später vollzog sich die Trennung und brachte harte Freudlosigkeit,
denn man glaubte das Gute freudlos üben zu können und das
Göttliche nüchtern fassen zu dürfen.
Um etwas zu sehen, zu fühlen, zu schmecken, braucht man aber
besondere Organe. Auch höhere Dinge können nicht wahrgenommen
und dadurch in geistigem Besitz festgehalten werden, ohne daß
wahrnehmende Organe vorhanden sind.
Es ist ein unnötiges Unterfangen, auf irgend eine Art, etwa durch
Werkheiligkeit oder durch Denkarbeit einem Begriff des Urschönen
nahe kommen zu wollen und eine ebensolche Torheit, ein Urschönes
leugnen zu wollen, weil die Organe mangeln, deren man zu seiner
Wahrnehmung und Besitznahme bedarf.
Um die innere Blindheit abzulegen und zu mystischem Schauen zu
gelangen, ist die Sehkraft der Liebe auszubilden und zu stärken.
Die einander widerstrebenden Teile des Menschen sind durch das
Schöne zum Frieden zu bringen, dem sich allein die logische Psyche
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Goethe’schen Gedichts:
Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnt es Sonnenlicht erblicken,
Wär nicht in uns des Gottes Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken.
Auch der rätselhafte Schlußgesang im Faust: Das ewig Weibliche
zieht uns hinan wirkt durchaus nicht rätselhaft, wenn uns die Schön-
heitslehre der Neuplatoniker nicht länger verborgen bleibt.
Ergreifend ist es gewiß, daß ihr Schönheitsglaube, der Schönheits-
glaube, für den die Platonschülerin Hypatia in Alexandria den
Märtyrertod starb, nie ganz erstickt wurde, bald in diesem, bald
in jenem Land unter den verschiedensten Formen auflebte und im
Gemüt der größten deutschen Dichter Wiedergeburt fand.
Eine vornehme Aufgabe ist es, diesen uns anvertrauten Schatz
verständnisinnig zu hegen als unveräußerlichen Besitz.
Was bedeutet der Spruch, den Goethe Plotin entnahm, das Schöne
sei höher als das Gute?
Platon und Aristoteles hatten Schönes und Gutes kaum getrennt.
Später vollzog sich die Trennung und brachte harte Freudlosigkeit,
denn man glaubte das Gute freudlos üben zu können und das
Göttliche nüchtern fassen zu dürfen.
Um etwas zu sehen, zu fühlen, zu schmecken, braucht man aber
besondere Organe. Auch höhere Dinge können nicht wahrgenommen
und dadurch in geistigem Besitz festgehalten werden, ohne daß
wahrnehmende Organe vorhanden sind.
Es ist ein unnötiges Unterfangen, auf irgend eine Art, etwa durch
Werkheiligkeit oder durch Denkarbeit einem Begriff des Urschönen
nahe kommen zu wollen und eine ebensolche Torheit, ein Urschönes
leugnen zu wollen, weil die Organe mangeln, deren man zu seiner
Wahrnehmung und Besitznahme bedarf.
Um die innere Blindheit abzulegen und zu mystischem Schauen zu
gelangen, ist die Sehkraft der Liebe auszubilden und zu stärken.
Die einander widerstrebenden Teile des Menschen sind durch das
Schöne zum Frieden zu bringen, dem sich allein die logische Psyche
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